Fundamentalismus - Begriff
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christlicher Fundamentalismus
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"In der Öffentlichkeit redet man vom Fundamentalismus erst seit etwa
Ende der siebziger Jahre. […] Ursprünglich wurde der Begriff
»Fundamentalismus« im bejahenden Sinne von Leuten verwandt, die sich
selber Fundamentalisten nannten. Sie prägten das Wort im Jahre 1910 in
den USA, um damit ihre eigene Form von christlicher Gläubigkeit zu
kennzeichnen. [vgl.
The Fundamentals,
1910-1915]
Der polemische Gebrauch des Wortes »Fundamentalismus« wiederum hatte
ursprünglich nichts mit dem zu tun, was man heute unter
»Fundamentalismus« versteht; er bezog sich nicht auf die beiden
Bereiche, in denen man ihn heute meist ansiedelt: auf Religion und
Politik, sondern auf die Wissenschaftstheorie und geht auf Hans Albert
zurück, einen Vertreter der philosophischen Schule des Kritischen
Rationalismus.
Albert verstand unter Fundamentalisten Philosophen, die seinen radikalen
Skeptizismus in Bezug auf endgültige Wahrheitserkenntnis nicht teilten
und die im Gegensatz zu ihm behaupteten, es dürfe für jeden
Erkenntnisbereich nur eine wahre Theorie geben.
Inzwischen hat sich das negative Vorzeichen für das Wort
»Fundamentalismus« weitgehend durchgesetzt. Heute benutzt man den
Begriff hauptsächlich als (aggressiv oder ironisch gehandhabte) geistige
Keule, die man seinen Gegnern um die Ohren schlägt, entweder um sie
wegen ihrer vermeintlichen Rückständigkeit lächerlich zu machen oder um
ihre angebliche Gefährlichkeit zu kennzeichnen.
Dabei operiert man oftmals mit bloßen äußerlichen Analogien. Auf diese
Weise ist zum Beispiel der Begriff »islamischer Fundamentalismus« in die
Welt gesetzt worden, wobei man von gewissen angeblichen Gemeinsamkeiten
zum amerikanischen Fundamentalismus ausging, obwohl dem sorgfältigen
Beobachter eher die Unterschiede ins Auge springen. […]
Angesichts der Tatsache, dass man inzwischen bereits vom christlichen,
islamischen, zionistischen, hinduistischen, marxistischen, ökologischen
und nationalistischen Fundamentalismus spricht, wobei sich diese
Aufzählung ohne Schwierigkeit noch weiter vervollständigen ließe, fragte
auch er [Thomas Meyer,
Politikwissenschaftler]
sich, ob diese verschiedenartigen Richtungen mit völlig
unterschiedlichen Lebensformen, Zielsetzungen und inneren Gewissheiten,
»Junge und Alte, Bauern, verelendete Slumbewohner, Intellektuelle und
prosperierende Bürgerkinder, die nichts zu verbinden scheint als die
äußere Zeit ihres Lebens, Gebildete und Ungebildete in den entlegensten
Orten der Erde«, wirklich ein gemeinsames Fundament besitzen, das es
rechtfertigt, auf sie alle den einen Oberbegriff »Fundamentalismus«
anzuwenden.
Dass Meyer dennoch an der These von einer inneren Gemeinsamkeit aller
Fundamentalisten festhält, hängt damit zusammen, dass er hinter allen
diesen unterschiedlichen Formen dennoch eine sie verbindende Grundlage
zu sehen meinte: einen antiaufklärerischen Impuls im Sinne eines
Antimodernismus.
Tatsächlich spielt dieser bei der Entstehung des Fundamentalismus eine
wesentliche Rolle, ja er ist sogar ein Angelpunkt des Problems. Aber er
geht darin nicht auf. Auch Gandhi war zum Beispiel ein Antimodernist,
ohne dass man ihn deswegen als Fundamentalisten bezeichnen könnte. […]
Daher ist es präziser zu sagen, Fundamentalismus ist nicht nur Kampf
gegen die Moderne, sondern zugleich eines ihrer typischen Gesichter:
Beide stehen sich durch die Entwurzelung ihrer Vertreter und durch deren
Verdrängung ihrer Zweifel und durch ihre Hilflosigkeit gegenüber
scheinbar unlösbaren Problemen sehr viel näher, als das die einen und
die anderen wahrhaben wollen."
Dr. Werner Huth
(1995, Psychoanalytiker, ehem. Lehrbeauftragter für Grenzgebiete
zwischen Anthropologie und Tiefenpsychologie an der Hochschule für
Philosophie in München, Flucht in die Gewissheit. Fundamentalismus und
Moderne, Claudius 1995, S. 26-27 u. 33-34)
Diskussion
"„Fundamentalismus“ ist eine der großen Herausforderungen der modernen
Welt und zugleich einer der am häufigsten missbrauchten Begriffe der
Gegenwart.
Ein schillerndes Phänomen, aber alles andere als eine bloße Schimäre.
Höchst real in Geist und Motivation rücksichtsloser Kollektive, die im
Namen ihrer selbsterkorenen Gewissheiten strafen, unterwerfen, herrschen
und töten, nicht selten aber auch von den jeweiligen Benutzern des
Begriffs nach Belieben zur vernichtenden Etikettierung missliebiger
Ideen, Personen oder Gruppen verwandt.
Der Begriff ist also mit Vorsicht zu genießen. Er klärt oder rüttelt
auf, wo er am Platze ist, aber vernebelt und verwirrt, wo er als bloße
Diffamierungswaffe eingesetzt wird. Folglich kann er, um Missbrauch zu
vermeiden, nicht einfach zu den Akten gelegt werden. [...]
Fundamentalismus, im wohlverstandenen Sinne, ist im Grunde ein Paradox.
Er will in der modernen Welt mit den Mitteln der modernen Kultur,
Wissenschaft, Technologie und Waffenarsenale, sowie Massenorganisation
und -kommunikation, die Normen und Orientierungen, die der modernen
Kultur und all diesen Errungenschaften zugrunde liegen, radikal aus der
Welt schaffen.
Sein Auftreten in den öffentlichen Arenen der Welt lässt sein
Hauptkennzeichen deutlich werden. Es handelt sich bei ihm gerade nicht
primär um eine religiöse Lebensform, sondern um eine politische
Ideologie, die auf die Rechtfertigung eigener Macht und Herrschaft im
öffentlichen Raum gerichtet ist.
Der Bezug des Fundamentalismus zur Religion besteht vor allem darin,
dass er sich ihrer nach Belieben zur Rechtfertigung seiner
Vormachtsansprüche über die Lebenswelt und das Gemeinschaftsleben
bedient. [...] (S. 7)
Er ist aber, um dieses verbreitete Missverständnis von vornherein zu
zerstreuen, keineswegs identisch mit der Rückkehr des Bedürfnisses nach
Religion ins private und öffentliche Leben überhaupt, denn dieses kann
viele, vor allem auch rechtsstaatlich-demokratische Formen annehmen. Er
ist vielmehr eine sehr spezielle Form ins öffentliche Leben gewendeter
absoluter Heilsgewissheit. (S. 9)
Tatsächlich hat sich auch gezeigt, dass fundamentalistische Strömungen
unter geeigneten Bedingungen in allen Kulturen der Welt entstehen und
mächtige politische Energien freisetzen können.
Den protestantischen Fundamentalismus in den USA, den
Hindu-Fundamentalismus in Indien, den evangelikalen Fundamentalismus im
ehedem katholischen Guatemala, den jüdischen Siedler-Fundamentalismus in
Israel, den buddhistischen Fundamentalismus in Sri Lanka, den
islamischen Fundamentalismus im Iran oder in Algerien, den
konfuzianischen Fundamentalismus in Südasien, den römisch-katholischen
Fundamentalismus in Europa und den USA, um mit den maßgeblichsten Fällen
die unbegrenzte kulturelle Bandbreite sichtbar zu machen (S. 16)
In der Sache hat es Fundamentalismus seit dem Beginn der kulturellen
Modernisierung als deren immanenten Gegenimpuls schon immer gegeben.
Das Wort trat zuerst im Zusammenhang mit einer religiösen Schriftenreihe
in Erscheinung, die in den Jahren 1910 bis 1915 in den USA unter dem
Titel „The Fundamentals“ erschien. Sie trug den kennzeichnenden Titel „A
Testimony to Truth“ - Ein Zeugnis der Wahrheit .
1919 gründeten die protestantischen Christen, die die Reihe
herausgegeben hatten, eine weltweit tätige Organisation, die „World's
Christian Fundamentals Association“. Damit war die Bezeichnung
„Fundamentalismus“ für diese Art christlicher Glaubensüberzeugung
geprägt und hat sich zunächst für sie im allgemeinen und im
wissenschaftlichen Sprachgebrauch durchgesetzt.
Allmählich wurde sie auch auf andere Ideologien und Bewegungen zunächst
im Katholizismus und dann in anderen Kulturbereichen bezogen, wenn sie
die charakteristischen Merkmale teilten. (S. 17)
Dieses Gründungsdokument des modernen protestantischen Fundamentalismus
war vor allem gegen die historisch-kritische Bibelauslegung gerichtet,
die sich seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Europa und
Amerika ausbreitete." (S. 18)
Prof. Dr. Thomas Meyer
(15. Juli 2011, Politikwissenschaftler, Was ist Fundamentalismus?
Eine Einführung, VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 7, 9 u. 16-18)
Diskussion

Links Julian Nida-Rümelin, Mitte Thomas
Meyer (Beitrag) rechts Gert Heidenreich
Frankfurter Buchmesse (Oktober 2009)
"Fun|da|men|ta|lis|mus
Bedeutungen
a. geistige Haltung, Anschauung, die durch kompromissloses Festhalten an
[ideologischen, religiösen] Grundsätzen gekennzeichnet ist [und das
politische Handeln bestimmt]
b. streng bibelgläubige Richtung des amerikanischen Protestantismus"
Duden (2013, Bibliographisches Institut GmbH (Hrsg.): Duden.de
[Homepage]: Fundamentalismus. Stand: 2013, www.duden.de/rechtschreibung/Fundamentalismus,
Abruf: 2014-02-28)
Diskussion
"Fundamentalismus,
1. im weiteren Sinne: streng konservative Richtung in
Politik, Gesellschaft sowie in der christlichen, jüdischen, islamischen
u. hinduist. Religion. Gemeinsame Kennzeichen: Festhalten an unveränderl.
„Fundamenten“ der Tradition u. Bestehen auf dem für absolut geltenden
Standpunkt der eigenen Gruppe; verbunden mit Ablehnung von Neuerungen u.
mit militanter Einstellung z. B. gegen Feminismus, Pluralismus, sexuelle
Selbstbestimmung u. Toleranz.
2. im engeren Sinne: im nordamerikan. Protestantismus entstandene
Bewegung, die dem Darwinismus u. theolog. Liberalismus den Glauben an
die irrtumsfreie Bibel (Verbalinspiration) entgegensetzte. Sie
konstituierte sich 1918 in der World’s Christian Fundamental
Association, 1948 im International Council of Christian Churches."
dtv-Lexikon (1. Oktober 2006,
dtv-Lexikon in 24 Bänden. Band 7: Fundamentalismus, München: Deutscher
Taschenbuch Verlag - 2006, S. 308)
Diskussion
"Der Terminus
„Fundamentalismus" ist als eine Eigenbezeichnung einer
christlich-religiösen Bewegung in den USA zu Anfang des 20. Jhs.
entstanden. Auf andere religiöse und nicht-religiöse Phänomene ist er -
jedenfalls wirksam - erst nach der iranischen Revolution im Jahre 1979
übertragen worden.
Während beispielsweise die Ausgabe von Meyers Enzyklopädischem Lexikon
aus dem Jahr 1973 unter „Fundamentalismus" nur die besagte
US-amerikanische protestantische Bewegung anführt, versteht die Auflage
von 1993 unter dem Begriff generell „das kompromisslose Festhalten an
Grundsätzen".
Diesem Verständnis gemäß wäre also ein Gesinnungsethiker, d.h. jeder,
der eine feste Überzeugung hat und nicht bereit ist, sie zur
Disposition zu stellen, per se ein „Fundamentalist"."
Prof. Dr. Volkhard Krech (1. Juli 2005, Ev. Theologe,
Ruhr-Universität Bochum, Europa als Wertegemeinschaft? Integralistische
Tendenzen im Diskurs über die europäische Identität. -
Begriffsgeschichtliche und systematische Überlegungen. In: Stefan Alkier
/ Hermann Deuser / Gesche Linde (Hg.), Religiöser Fundamentalismus.
Analysen und Kritiken, Tübingen: Francke, 2005, S. 46)
Diskussion

Brockhaus Enzyklopädie 21. Auflage, 30
Bände (2006)
[Brockhaus, 17. Aufl. 1968, Umfang Fundamentalismus-Artikel: 1/8 Seite]
"Fundamentalismus, eine theolog. Richtung im Protestantismus, die
gegenüber der modernen Naturwissenschaft und krit. Theologie an den
Lehren der alten Orthodoxie, bes. am Wortverständnis der Bibel,
festhält. Der F. entstand Ende des 19. Jahrh. in den Verein. Staaten und
löste zahlreiche innerkirchl. Streitigkeiten aus, insbes. über die »Revised
Standard Version« (>Bibel, Übersetzungen).
1919 wurde die »World’s Christian Fundamental Associatiom« gegründet,
1948 gegen die angeblich katholisierenden und kommunist. Tendenzen der
Ökumene das >International Council of Christian Churches.
The fundamentals, a testimony to the truth, hg. v. A. C. Dixon u. R. A.
Torrey (Chicago 1910-12). - N. F. Furniss: The fundamentalist
controversy 1918-31 (New Haven 1954)."
Brockhaus Enzyklopädie (1968, Brockhaus
Enzyklopädie in zwanzig Bänden, Band 6: Fundamentalismus, 17., völlig
neu bearbeitete Auflage, Wiesbaden: F.A. Brockhaus 1968, S. 668)
Diskussion
[Brockhaus, 21. Aufl. 2006, Umfang Fundamentalismus-Artikel: 3
1/2 Seiten] [Auszug]
"Fundamentalismus der, -. Der Begriff F. hat erst in jüngster Zeit über
die Grenzlinien seiner unterschiedl. religiösen und nichtreligiösen
Deutung hinweg eine fest umrissene Bedeutung gewonnen und wird dabei
meist als Strukturbegriff verwendet, der eine bestimmte Form willkürl.
Selbstabschließung von Denk- oder Handlungssystemen gegen Kritik und
Alternativen bezeichnet.
Im frz. Sprachgebrauch wird häufig auch gleichbedeutend »integrisme« und
im Englischen »communalism« verwendet. Mittlerweile steht er nach einem
verbreiteten Konsens des Sprachgebrauchs für theoret. Orientierungen und
prakt. Organisationsformen eines umfassenden oder selektiven kulturellen
und polit. »modernen Antimodernismus«.
Noch immer gehen die Auffassungen darüber auseinander, ob der Begriff
auf die religiös bestimmten Formen eines solchen Antimodernismus
beschränkt bleiben sollte oder auch auf säkulare Varianten angewendet
werden kann, wenn sie im Übrigen seine wesentl. Bestimmungsmerkmale
teilen.
Geschichte
Das Wort F. tritt zuerst im Zusammenhang mit einer religiösen
Schriftenreihe in Erscheinung, die in den Jahren 1910-15 unter dem Titel
»The fundamentals« in den USA erschien. Sie trug den aufschlussreichen
Untertitel »A testimony to truth« (»Ein Zeugnis der Wahrheit«).
1919 gründeten die prot. Christen, die die Reihe herausgegeben hatten,
eine weltweit tätige Organisation, die »World’s Christian Fundamentais
Association«. Damit war die Bez. für diese Art christl. Gläubigkeit
geboren und hat sich für sie sowohl im allgemeinen wie im wiss.
Sprachgebrauch rasch durchgesetzt.
Erst in jüngerer Zeit wurde sie dann auf vergleichbare Erscheinungen in
anderen Religionen und schließlich auch auf gleichartige Organisations-
und Orientierungsformen nichtreligiöser Art übertragen, die ihrerseits
auf längere Traditionen zurückblicken.
Es waren v. a. vier unverrückbare »Grundwahrheiten« (»fundamentals«),
die diese Bewegung charakterisierten:
1) die buchstäbl. Unfehlbarkeit der Hl. Schrift und die unbeirrbare
Gewissheit, dass die Hl. Schrift keinen Irrtum enthalten könne;
2) die Nichtigkeit aller modernen Theologie und Wiss., soweit sie dem
Bibelglauben widersprechen;
3) die Überzeugung, dass niemand, der vom fundamentalist. Standpunkt
abweicht, ein wahrer Christ sein könne, und
4) in der Praxis der Bewegung schärfer als in ihren Schriften die
Überzeugung, dass die moderne Trennung von Kirche und Staat immer dann
zugunsten einer religiösen Bestimmung des Politischen aufgehoben werden
muss, wenn polit. Regelungen mit fundamentalen religiösen Überzeugungen
kollidieren.
In der Sache hat es den F., lange vor der Prägung des Begriffs, schon
seit dem frühen 19. Jh. gegeben. Er entstand in Europa als Gegenbewegung
gegen den mit der von I. KANT eingeleiteten bewusstseinsphilosoph. Wende
in der Philosophie erstarkenden Modernismus in Religion und Theologie.
Die modernist. Positionen, gegen die sich der prot. und alsbald auch der
kath. F. wandten, verkörpern das Eindringen des Geistes der Aufklärung
in Theologie und Religion: die histor. und literar. Bibelkritik, die
kantische Begrenzung der Religion auf die Rolle des Garanten moral.
Motive, die wiss. Idee einer natürl. Evolution der Menschengattung und
sogar der konkreten Ausformungen der Religionen selbst.
Der Prozess der Modernisierung, der in großen, langsamen Schüben schon
seit dem 12.Jh. die Gesamtheit der abendländ. Kultur zu prägen begann,
hatte seit dem 18. Jh. die Säkularisierung vorangetrieben und
infolgedessen die Trennung von Wahrheit und Gewissheit sowie die
beginnende Öffnung aller kulturellen Systeme für legitime Alternativen
bewirkt.
Der religiöse F. stellt den Versuch dar, die generalisierte Ungewissheit
aller Erkenntnisansprüche und die generelle Offenheit aller sozialen
Systeme für Alternativen, die der Prozess der Modernisierung mit sich
brachte, mit willkürl. Dogmatisierungen aus der Religion fern zu halten
und bestimmte Fundamente künstlich gegen alle Zweifel und Kritik zu
immunisieren. F. bedeutet daher zunächst einen willkürl. Abbruch der
gemeinsamen Deutungspraxis religiöser Überlieferung, um selbsterkorene
absolute Gewissheiten jeder offenen Deutung und Infragestellung zu
entziehen.
Die religionshistor. Studien von H. KÜNG haben gezeigt, dass
vergleichbare Prozesse der Modernisierung, wenn auch nicht überall in
derselben Konsequenz und in denselben Formen, spätestens seit dem 19.
Jh. in allen Weltreligionen zu beobachten waren.
Überall hat es als Reaktionsbildung auf diesen Öffnungsprozess die
Erscheinung eines F. gegeben. F. ist in dieser histor. Perspektive der
Versuch, ein älteres Paradigma der Selbstauslegung einer Religion
gegenüber allen jüngeren absolut verbindlich zu machen.
Jüngere wiss. Studien haben buddhist., islam., hin-duist., konfuzian.,
jüd. u. a. Formen des F. als jeweilige Reaktionsbildungen auf
religionsimmanente Öffnungsbestrebungen beschrieben. Die Erfolge des F.
bei der Bekämpfung modernerer Deutungen der jeweils eigenen
religiös-kulturellen Traditionen sind in den einzelnen Kulturen höchst
unterschiedlich und histor. Schwankungen unterworfen.
Der Kernpunkt ist stets die Trennung von Staat und Religion. Für den F.
als eine polit. oder politisch fungierende Ideologie ist immer ein
bestimmter, unterschiedlich weit gehender Anspruch auf die Einheit von
Staat und Religion kennzeichnend.
F. bietet sich in vielen Formen als Lösung der Widersprüche an, die im
Prozess der Modernisierung aufbrechen. Er ist eine
Ausschließungshaltung, die Geborgenheit, Gewissheit und allem Zweifel
entrückte Orientierung an die Stelle der unvermeidl. Ambivalenzen und
Unsicherheiten der modernen Existenz zu setzen verspricht.
F. ist jedoch nicht das Kennzeichen bestimmter Religionen oder
Weltanschauungen, sondern kann als eine sozialpsycho-logisch bedingte
Weise ihrer Auffassung und Anwendung angesehen werden.
Wesen und Erscheinungsformen
F. bedeutet die Handhabung bestimmter Erkenntnisansprüche als allem
Zweifel entzogen und daher außerhalb jedes Dialogs angesiedelt. In
seinen kämpferisch-polit. Formen wird das auf diese Weise
immunisierte Fundament des F. als Legitimation für Vormachts- oder
Herrschaftsansprüche gegenüber Abweichenden in Anspruch genommen. Dies
schließt i. d. R. die Bereitschaft zur Verweigerung von Menschenrechten und
demokrat. Entscheidungsregeln ein.
Da die moderne Politik vielfach durch Offenheit und Pluralismus
gekennzeichnet ist, bedeutet F. die antimoderne Rückkehr des Absoluten
in die Politik. Die geschlossenen Glaubenssysteme fundamentalist.
Prägung übernehmen den Anspruch öffentl. Herrschaft und schließen
Kritik, Alternativen, Zweifel, den Dialog über ihre Erkenntnisansprüche
von gleich zu gleich aus.
Die gänzl. oder selektive Missachtung von
Menschenrechten, Pluralismus, Toleranzgebot, Mehrheitsprinzip im Namen
der vermeintlich absoluten eigenen Glaubenswahrheit, die sich allein im
Besitz des jeweiligen F. befänden, sind Folgen seines sich nach außen
wendenden absoluten Gewissheitsanspruchs.
Papst Pius X. hat für die kath. Kirche in seiner Enzyklika »De
Modernistarum Doctrinis« 1907 die modernisierenden Strömungen im
Katholizismus auf ähnl. Weise identifiziert und verurteilt wie die prot.
Fundamentalisten kurz danach. Dieses Dokument kann daher zur
Legitimation eines katholischen F. herangezogen werden, als dessen
Träger nach dem
2. Vatikan. Konzil verschiedene, durch ein eher vor-
konziliar-restauratives Kirchenverständnis geprägte
»traditionalistische« (nach eigenem Verständnis traditions- und
papsttreue) geistl. Bewegungen innerhalb der kath. Kirche gelten; u. a.
die - seit 1988 durch Schisma von der Kirche getrennte - >Internationale Priesterbruderschaft des Hl. Pius X., die Bewegung
>Una voce und das »Engelwerk« (>Opus Angelorum).
Erstmals Aufsehen
erregt hat in Europa in den 1970er-Jahren der islamische F., als er
unter der geistlich-polit. Führung des schiit. Religionsführers R. M.
KHOMEINI 1979 mit einer kämpferisch antiwestl. Einstellung im Iran
polit. Macht erlangt hat und seither in einer Reihe islam. Länder eine
Rolle im polit. Leben spielt.
Anhänger fand er zunächst bes. in
gesellschaftlich und sozial unterprivilegierten Bevölkerungsschichten,
wobei sich der Wunsch nach »Rückkehr zum ursprüngl. Islam« u. a. in
bestimmten äußeren Formen (z. B. Kleidung) ausdrückt. [...]
Der protestantische
F. verfügt nach wie vor in seinem »Stammland«, den USA, über die besten
Organisationsstrukturen und größten finanziellen Ressourcen. In den
1990er-Jahren über die USA hinaus durch spektakuläre Aktionen gegen die
Gesetzgebung Präs, B. Clintons zum Schwangerschaftsabbruch und mit Kampagnen gegen Homosexualität und schul. Sexualerziehung bekannt
geworden, hat sein Einfluss auf das gesellschaftl. und polit. Leben der
Vereinigten Staaten seit dem Amtsantritt von Präs. G. W. Bush (2001)
stark zugenommen (>Neokonservativismus).
Wichtige Säulen sind ihm verpflichtete landesweite Sammlungsbewegungen,
an erster Stelle die >Christian Coalition of America, und die intensive Nutzung moderner
elektron. Kommunikationsmittel, bes. der >Fernsehkirche. [...]
Die Strukturen, die eine fundamentalist. Geisteshaltung oder Bewegung
charakterisieren, finden sich am Ende des 20. Jh. nicht nur in
Teilströmungen aller; kulturprägenden Religionen, auch solcher, die wie
der Hinduismus mangels einer ausgearbeiteten Dogmatik lange Zeit als
immun gegenüber solchen Versuchungen galten. Sie waren und sind ebenso
in säkularen Ideologien und Bewegungen zu beobachten, beispielsweise im
orth. Marxismus-Leninismus oder in metaphys. Spielarten des Ökologismus.
In Umkehrung der kantischen Definition der Aufklärung lässt sich F. als
Gegenbewegung zum kulturellen Prozess der Modernisierung beschreiben: F.
könnte so als mehr oder weniger gewollter Versuch der Immunisierung
gegen die Zumutungen des Selberdenkens, der Eigenverantwortung, der
Begründungspflicht, der Unsicherheit und der Offenheit aller
Geltungsansprüche, der Herrschaftslegitimationen und Lebensformen
gesehen werden, denen Denken und Leben durch Aufklärung und Moderne
unumkehrbar ausgesetzt sind; stattdessen bietet er
die Sicherheit und Geschlossenheit selbst erkorener absoluter
Fundamente.
Vor ihnen soll alles Fragen Halt machen, damit sie absoluten
Halt geben können. Freilich würde in einer kultursoziolog. Perspektive
die Bestimmung des F. als bloßem »Antimodernismus« dem Phänomen nicht
gerecht.
Vielmehr zeigt das Studium der fundamentalist. Bewegungen: Der
F. ist eine Erscheinung der Moderne selbst. Er ist in der säkularen
Kultur der Moderne selbst verankert, gerade auch wo er sich als Protest
und Gegenentwurf zu dieser versteht und formiert.
Somit ist er als
bloßer »Traditionalismus« oder »Antimodernismus« nicht zureichend
beschrieben. Vielmehr ist er ein »moderner Antimodernismus«; d. h., er
entsteht unter den Struktur- und Kulturbedingungen säkularer oder sich
gegenüber der Säkularität abgrenzender Gesellschaften.
F. lässt sich in kommunikationstheoret. Sicht als eine Form systematisch
verzerrter Kommunikation verstehen, da er die stets unvermeidl.
Deutungsarbeit an den jeweils eigenen Überlieferungen der unterschiedl.
Kulturen bei einem von ihm selbst festgelegten Ergebnis willkürlich
abschließt.
Für den F. ist es stets kennzeichnend, dass er den offenen
Dialog über seine Geltungsansprüche verweigert. Dialog setzt voraus,
dass gleichermaßen zurechnungsfähige Subjekte über divergente
Meinungen, Interessen und Konzepte streiten in dem Bewusstsein, dass es
für Menschen keinen Standpunkt geben kann, von dem aus Streitfragen a
priori entschieden werden können.
Dem F. erscheint darum der Konflikt
über Deutungs- und gesellschaftlich- polit. Gestaltungsansprüche als
Verrat und der Gegner als Feind von Heil und Wahrheit. Er akzeptiert
den Gegner daher nicht als zurechnungsfähig und der Überredung, sei es
der Umerziehung, sei es der Bloßstellung oder, wo er über die polit.
Macht verfügt, der Unterdrückung.
F. umfasst stets mehrere Dimensionen
des gesellschaftl. Handelns. Er kann darum angemessen nur auf
interdisziplinäre Weise verstanden und erklärt werden.
Erklärungsansätze
Erklärungsansätze für das Aufkommen und die Verbreitungschancen von
religiösem oder nichtreligiösem polit. F. können auf
individualpsycholog., soziolog., politikwissenschaftl. und
kulturphilosoph. oder sogar anthropolog. Ebene ansetzen.
Wenn F. als die
Zuflucht zu willkürlich immunisierten absoluten Gewissheiten unter der
modernen Bedingung prinzipieller Ungewissheit gilt, so können Motive
und Bedingungen dafür auf psycholog. Ebene gefunden werden, nämlich in
der Unfähigkeit zum Aushalten offener und mehrdeutiger Situationen, auf
soziolog. Ebene, nämlich in der Unfähigkeit, soziale Identität in einer
pluralisierten Gesellschaft zu sichern,
auf polit Ebene, nämlich in der
mangelnden Bereitschaft, sich mit dem polit. Relativismus der Demokratie
zu arrangieren,
auf kulturphilosoph. Ebene, nämlich in der Unfähigkeit,
sich in der metaphys. Heimatlosigkeit der Moderne einzurichten, und auf
anthropolog. Ebene, nämlich in der Annahme, der Mensch könne ohne einen
Grundbestand letzter Gewissheiten nicht existieren.
Offensichtlich bildet die metaphys. Heimatlosigkeit der Moderne (PETER
L. BERGER) die Grundsituation, in der dann das Zusammentreffen
weiterer der genannten Motive und Bedingungen die Hinwendung zum F.
und das Erstarken fundamentalist. Bewegungen begünstigen.
Zum Problem
wird der F. dabei nicht so sehr durch den Versuch von Einzelnen oder
Gruppen, künstl. Gewissheit für sich selbst zu erlangen, sondern durch
die zusätzl. Haltung, diese Gewissheit erst dann als Sicherheit zu
empfinden, wenn sie für alle gilt, also auch den Widerstrebenden
aufgenötigt werden kann. Mit diesem Übergriff auf das öffentl. Leben
wird der F. zur polit. Ideologie.
Als individuelles Motiv und als Haltung gesellschaftl. Teilgruppen ist
der F. selbst mit der Moderne eine Art siames. Zwilling. Als
weltanschaulich-polit. Bewegung gewinnt er, wie histor. Längsschnitt-
und interkulturelle Vergleiche nahe legen, Massenzulauf, wenn drei
Bedingungen gleichzeitig erfüllt sind:
1) das plötzl. Brüchigwerden eingelebter soziokultureller Identitäten
und Orientierungen,
2) die Erfahrung oder Drohung sozialer Unsicherheit
und
3) ein in der gegebenen Situation glaubwürdiges Angebot
fundamentalist. Organisation, Rhetorik und Führung im Rückgriff auf
Elemente der jeweiligen kulturellen Tradition.
Wirkungen und Diskussionen in der Gegenwart
Mit dem Unglaubwürdigwerden des europ. Fortschrittsoptimismus und dem
Erwachen des ökolog. Bewusstseins von der Zerstörbarkeit der natürl.
Lebensgrundlagen durch unkontrollierte Technikentfaltung setzte v. a.
in der islam., jüd. und christl. Welt zu Beginn der 1970er-Jahre eine
Welle des F. ein (GILLES KEPEL).
In den 1990er-Jahren erlangten fundamentalist. Bewegungen und Parteien in islam. Ländern die Macht
(Afghanistan), griffen nach ihr (Algerien) oder versuchten dieses
(Ägypten). Überrascht hat selbst kundige Beobachter der machtvolle
Aufschwung eines kulturell und politisch organisierten Hindu-F. in der
»größten Demokratie der Welt«, Indien.
Viele der Sekten und neuen
religiösen Bewegungen in Europa tragen fundamentalist. Gepräge, wenn
auch hier oft (noch) ohne offensichtl. polit. Ambitionen.
Fundamentalistisch sind auch die ethn. Formen des Nationalismus zu
nennen, die in Ost- und Südosteuropa zeitweilig das Vakuum zu füllen
schienen, das der Zusammenbruch der marxistisch- leninist.
Weltanschauung - besser säkularen »Glaubenslehre« - dort hinterlassen
hat, und partiell auch in Westeuropa zu konstatieren sind.
Der Begriff des F. ist v. a. drei krit. Einwänden ausgesetzt:
1) Er sei
zu weit und vage, um brauchbar zu sein;
2) er sei in polem. Absicht
gebildet und darum für Wiss. und kulturellen Dialog kaum brauchbar, und
3) er sei selbstwidersprüchlich, da sein Gebrauch selber der Kritik
entrückte Annahmen voraussetze.
Als Entgegnung auf diese Einwände finden sich folgende Argumentationen:
1) Als Gegenbegriff zum Begriff der Modernisierung bzw. der Moderne, der
eine universelle und globale Bedeutung hat, muss der Begriff des F. von
gleicher Allgemeinheit und Reichweite sein, ohne darum leer zu werden.
Als allgemeiner Strukturbegriff, der eine bestimmte Logik des
Verhaltens, Denkens und der sozialen Organisation bezeichnet, ist er in
seiner konkreten Dynamik jeweils in hohem Maße von den soziokulturellen
Kontexten abhängig, in denen sich die Sache, die er bezeichnet,
entfaltet. Das gilt zumal für den Typ von Modernisierungswidersprüchen,
denen er seine Entfaltung verdankt. -
2) Es gibt eine Anzahl von Strukturbegriffen, die polem. Konnotationen haben oder haben können,
ohne ihren analyt. Wert zu verlieren, z. B. Totalitarismus, Diktatur.
Die polem. Konnotation im Begriff des F. ist einerseits nicht dominant
und hängt andererseits in hohem Maße von der Verwendungsabsicht ab.
Sie
kommt in jedem Fall erst zur analyt. Grundbedeutung hinzu und tritt
nicht an deren Stelle. Sie ist zudem keineswegs notwendiger Bestandteil
der Begriffsbedeutung, da zahlr. Fundamentalisten den Begriff ohne
Vorbehalte zur Selbst- Bez. benutzen.
Er kann, wie fast alle Begriffe im
po- lit. Grenzgebiet, auch als Mittel bloßer Polemik benutzt werden,
indem der jeweils Andere ohne sachl. Grund zum Fundamentalisten
gestempelt wird. Eine solche Verwendung entspringt dann aber nicht dem
Begriff, sondern nur den Motiven und den ungeklärten Bedingungen seiner
Verwendung. -
3) Aus fundamentalist. Sicht ist der Begriff F. mit dem
Argument kritisiert worden, von F. lasse sich immer nur innerhalb eines
diskursiven und weltanschaul. Paradigmas reden, aber nicht im Verhältnis
zwischen den kulturellen, religiösen, weltanschaul. Paradigmen. Im
Außenverhältnis müssten sie aus Gründen der Selbsterhaltung
gleichermaßen fundamentalistisch gegeneinander auftreten.
Auch wenn die von kundigen Beobachtern mehrfach geäußerte Befürchtung,
der F. könne in allen Kulturen in der Welt des 21. Jh. eine ähnl. Rolle
spielen wie die totalitären Bewegungen in Europa im 20.Jh., als zu
pointiert erscheint, hat der Prozess der Modernisierung doch eine
Richtung genommen, die eine in unterschied!. Formen des F. vollzogene
massenhafte Flucht aus der modernen Kultur als Lebensform und polit.
Rahmenbedingung keineswegs unwahrscheinlich erscheinen lässt.
Sekten, fundamentalist. Organisationen, Parteien und Bewegungen bieten
sich als scheinbarer Ausweg aus der Moderne in zunehmender Zahl und
Variation überall an. Als Lebensform beruht die Moderne auf
Voraussetzungen, die sie selbst weder gewährleisten noch erzeugen kann.
In diese Lücke tritt der F. als andauernde Versuchung mit wechselnden
Erfolgschancen ein."
"G. M. Marsden: Fundamentalism and American culture. The shaping of 20th
Century evangelicalism (New York 1980); F. in der modernen Welt. Die
Internationale der Unvernunft, hg. v. Thomas Meyer (1989); M. Riesebrodt:
F. als patriarchal. Protestbewegung. Amerikan. Protestanten (1910-28) u.
iran. Schiiten (1961-79) im Vergleich (1990); I. Broer u.a.:
Offenbarungsanspruch u. fundamentalist. Versuchung (1991); The
fundamentalism project, hg. v. M. E. Marty u. R. S. Appleby, 5 Bde.
(Chicago, III., 1991-95); F. in der verweltlichten Kultur, hg. v. H.
Hemminger (1991); C. J. Jäggi u. D. J. Krieger: F. Ein Phänomen der
Gegenwart (Zürich 1991); »Katholischer« F. Häret. Gruppen in der
Kirche?, hg. v. W. Beinert (1991); Thomas Meyer: F. Aufstand gegen die
Moderne (Neuausg. 1991); Zukunftsperspektiven des F., hg. v. F. Stolz u. a.
(1991); H. Küng: Projekt Weltethos (Neuausg. 1993); G. Kepel: Die Rache
Gottes. Radikale Moslems, Christen u. Juden auf dem Vormarsch (a. d.
Frz., Neuausg. 1994); B. Tibi: Der religiöse F. im Übergang zum 21. Jh.
(1995); P. L. Berger: Sehnsucht nach Sinn. Glauben in einer Zeit der
Leichtgläubigkeit (a. d. Engl., Neuausg. 1999); K. Kienzler: Der
religiöse F. Christentum, Judentum, Islam (2002); F., Terrorismus,
Krieg, hg. v. W. Schluchter (2003); B. Tibi: Die fundamentalist.
Herausforderung. Der Islam u. die Weltpolitik (2003); G. Kepel: Das
Schwarzb. des Dschihad. Aufstieg u. Niedergang des Islamismus (a. d.
Frz., Neuausg. 2004); F. interdisziplinär, hg. v. K. Salamun (2005).
Brockhaus Enzyklopädie (2006, Brockhaus
Enzyklopädie in 30 Bänden, Band 10: Fundamentalismus, 21., völlig neu
bearbeitete Auflage, Leipzig, Mannheim: F.A. Brockhaus 2006, S. 73-76)
Diskussion

The Fundamentals. A Testimony to the Truth,
I-XII, Hg. R.A.Torrey (Bild), A.C.Dixon u.a. (1910-15)
"Fundamentalismus [TRE, 1983] [Auszug]
1. Zum Begriff
Im deutschen kirchlichen und theologischen Sprachgebrauch wurde der
Begriff „Fundamentalismus“ erst nach dem 2. Weltkrieg allgemeiner
bekannt; er wird oft etwas vage als Bezeichnung für streng konservative,
an der Bibel orientierte, von pietistischer Tradition bestimmte
Frömmigkeit überhaupt gebraucht.
Im angelsächsischen Bereich, dem der
Begriff entstammt und wo er schon in der ersten Hälfte des 20. Jh. in
Gebrauch war, ist er nicht einfach gleichbedeutend mit „evangelikal“
oder gar religiös-konservativ im allgemeinen.
Er bezeichnet zumindest
mit Schwerpunkt Gruppen, für die das entschiedene Festhalten an der
Lehre von der Verbalinspiration und absoluten Irrtumslosigkeit der Bibel
charakteristisch ist. In den angelsächsischen Ländern hatte und hat
diese Position eine nicht unbeträchtliche Zahl von Anhängern aus
verschiedenen Denominationen.
Ihre Bezeichnung als „Fundamentalismus“
geht zurück auf den Namen einer Schriftenreihe The Fundamentals, die in
den USA zwischen 1910 und 1915 von Vertretern dieser Richtung
herausgegeben wurde (s. u. Abschn. 2).
Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf Fundamentalismus in der
spezifischen Bedeutung des Begriffs von seinem angelsächsischen Ursprung
her. Von einer vagen Ausweitung, die „fundamentalistisch“ mehr oder
weniger mit „evangelikal“ oder gar „pietistisch“ gleichsetzt, ist
abzuraten.
Vertretern dieser letztgenannten Haltungen darf durchaus
nicht pauschal die im eigentlichen Sinn fundamentalistische Theorie der
Verbalinspiration unterstellt werden.
2. Zur Geschichte
Da es sich im Fundamentalismus nicht um eine organisatorisch einheitlich
definierte Gruppe handelt, ist seine Geschichte schwer abzugrenzen von
derjenigen konservativer Bewegungen und Reaktionen innerhalb des neueren
Protestantismus überhaupt.
Die Vorstellung der Verbalinspiration und der
in ihr begründeten Irrtumslosigkeit der Bibel ist ja ein altes Erbe;
sie gehörte zum einst selbstverständlichen Bestand schon katholischer
Lehrtradition und dann vor allem der altprotestantischen, sowohl
lutherischen wie reformierten Theologie.
Die Einwanderer, soweit sie
religiös bestimmten Gruppen angehörten, brachten sie nach Amerika mit
und konnten sie dort, solange die Lebensverhältnisse ländlicher Siedlung
überwogen, verhältnismäßig lange als selbstverständliches Erbgut
festhalten.
Erst als um die Mitte des 19. Jh. mit der Industrialisierung
und Verstädterung auch die Säkularisierung des gesellschaftlichen Lebens
in den USA stärker eingriff und in Schulen und Hochschulen Einfluss
gewann, sah sich jene Bibelgläubigkeit einer Erschütterung ausgesetzt,
die sie härter und unvorbereiteter traf, als das in Europa der Fall war.
Das Übergreifen historisch-kritischer Forschung auf den biblischen
Schriftenkomplex (Bibelwissenschaft), das sich nunmehr auch an
theologischen Ausbildungsstätten der USA bemerkbar machte, erschien ihr
als die große Apostasie vom Glauben der Väter und wurde für den
Glaubensverfall in der Gesellschaft überhaupt verantwortlich gemacht.
Das Dogma von der wörtlichen Inspiration und absoluten Irrtumsfreiheit
der Bibel wurde nun im Protest gegen diese Entwicklung erst recht
behauptet, erhielt damit einen scharf apologetischen Akzent und - da man
an dieser Stelle die Wacht gegen das Abdriften von Kirche, Theologie und
Gesellschaft in den Unglauben schlechthin meinte halten zu müssen - in
der Tat die Bedeutung eines Fundamentaldogmas, an dem alle übrigen
Glaubenswahrheiten hängen.
Obwohl die Bewegung dieser
„fundamentalistischen“ Bibelgläubigkeit auch Vertreter an theologischen
Ausbildungsstätten hatte - so besonders am presbyterianischen
theologischen Seminar in Princeton (USA) - ist sie keineswegs nur
akademisch-theologischer Herkunft.
Wie Sandeen
nachgewiesen hat, hat sie zumindest eine ihrer Wurzeln in bestimmten
Kreisen der englischen und amerikanischen Erweckungsbewegung, die in
intensiver, teilweise chiliastisch gefärbter Erwartung der baldigen
Wiederkunft Christi lebten.
Diese Kreise befassten sich mit dem Studium
der biblischen Prophetie besonders in ihren apokalyptischen Ausprägungen
(Daniel, Johannes-Apokalypse) und suchten ihr Hinweise auf Ereignisse
und Entwicklungen der eigenen Zeit als Vorzeichen des nahen Endes zu
entnehmen.
Sie legten vor allem in diesem Zusammenhang alles Gewicht auf
den Charakter der Bibel als unfehlbares, in jeder Hinsicht „wörtlich“ zu
nehmendes Gotteswort.
Die Impulse dieser Bewegung waren evangelistisch:
Aus einer immer mehr der Welt verfallenden Christenheit und Kirche
sollten in letzter Stunde Menschen zur wirklichen Hingabe an den Herrn
erweckt werden, mit dessen Kommen zur Aufrichtung seines Reiches in
jeder Stunde zu rechnen ist.
Mit der Polemik gegen die als „ungläubig“
empfundene historisch-kritische Bibelwissenschaft verband sich ein
scharfer Gegensatz gegen den allgemeinen Fortschrittsoptimismus der
Gesellschaft und gegen eine Liberale Theologie, die den
Reich-Gottes-Gedanken innerweltlich im Sinn fortschreitender kultureller
Auswirkung des Christentums verstand.
Organe der Bewegung waren seit
1878 die regelmäßigen jährlichen Tagungen der „Niagara Bible Conference“,
dazu seit 1880 die durch den Evangelisten Dw. L. Moody ins Leben
gerufene „Northfield Conference“ und die auf seine Initiative
gegründeten „Bible Institutes“, die der Unterweisung junger Leute in
einem streng an der göttlichen Inspiration und Unfehlbarkeit der Schrift
orientierten Bibelstudium dienen sollten - eine Gegengründung gegen die
kritische Bibelwissenschaft der Universitäten.
Zur literarischen
Verstärkung dieser Bestrebungen wurde 1910 durch die Initiative und mit
der finanziellen Unterstützung zweier Laien, Lyman und Molton Stewart,
die theologische Schriftenreihe The Fundamentals begründet, in der neben
führenden Männern der evangelistischen Bewegung auch konservative
Theologen von Princeton und aus dem europäischen Bereich Beiträge
veröffentlichten.
Sie erschien bis 1915 in insgesamt 12 Bänden. 1919 kam
es dann in Philadelphia, inspiriert vor allem durch William B. Riley,
zur Gründung einer „World's Christian Fundamentals Association“.
Als
Organisation hatte sie allerdings nur kurzen Bestand. Die (nunmehr
allgemeiner als „Fundamentalismus“ bezeichnete) Bewegung selbst aber
intensivierte ihren Kampf gegen den Modernismus in Kirche und
Gesellschaft gerade in den 20er Jahren mit einem Nachdruck, der zu
starker Erregung der Öffentlichkeit und zu erbitterten Richtungskämpfen
in verschiedenen protestantischen Denominationen, in einigen Fällen
sogar zu regelrechter Abspaltung radikal fundamentalistischer Gruppen
führte.
Unter Führung des redegewaltigen William J. Bryan konzentrierten
die Fundamentalisten ihren Angriff in dieser Periode besonders auf die
in den öffentlichen Schulunterricht eindringende Evolutionslehre und
Deszendenztheorie. In ihr sah man geradezu exemplarisch die Verleugnung
der biblischen Wahrheit und als Folge die Herabwürdigung des zum Bilde
Gottes geschaffenen Menschen zu einem materialistischer Lebenshaltung
verfallenden Naturprodukt.
In einigen Südstaaten, in denen die Bewegung
besonders stark war, erreichte sie sogar vorübergehend einzelstaatliche
Gesetze gegen die Vertretung der Deszendenztheorie im Schulunterricht.
In diesem Zusammenhang kam es 1925 zu dem berühmten „Affenprozeß“ in
Dayton (Tennessee), in dem der Biologielehrer J. T. Scopes, der die
Abstammung des Menschen aus dem Tierreich vertreten hatte, gerichtlich
gemaßregelt wurde.
Derartige Erfolge wiederholten sich allerdings nicht,
trugen auch eher zur Diskreditierung des Fundamentalismus in den Augen
der Öffentlichkeit bei. Gegen 1930 traten die Versuche der öffentlichen
Einflussnahme zurück.
In manchen Punkten begannen fundamentalistische
Theologen, unbestreitbar gewordenen Einsichten Rechnung zu tragen (dazu
s. u. Absch. 3), ohne dass die Behauptung der wörtlichen Inspiration und
Irrtumslosigkeit der Bibel grundsätzlich aufgegeben wird.
Gruppen, die
dieses Grunddogma des Fundamentalismus vertreten, finden sich auch heute
vor allem in den USA, aber auch in Großbritannien und anderen
europäischen Ländern. Eine bestimmte Konfessionszugehörigkeit ist für
sie nicht spezifisch.
In den USA waren in den führenden Kreisen der
Bewegung, die zur Gründung von The Fundamentals führte, vor allem Presbyterianer und Baptisten, auch Methodisten, kaum Lutheraner
vertreten. In der Sache aber wurde und wird auch in der Lutherischen
Missouri-Synode z. T. die fundamentalistische Lehre der Schriftautorität
mit großer Energie vertreten. Dass es hier zu keinem engeren Anschluss an
die allgemeine fundamentalistische Bewegung kam, dürfte mit dem streng
konfessionalistischen Selbstverständnis der Missouri-Synode
zusammenhängen.
3. Zur Theologie
Soweit man von einer fundamentalistischen Theologie sprechen kann,
handelt es sich in den Grundzügen um die Behauptung reformatorischer
Tradition in ihrer altprotestantischorthodoxen Gestalt.
Dabei treten
allerdings in weiten Bereichen vor allem des angelsächsischen
Fundamentalismus die innerprotestantischen konfessionellen
Unterscheidungen zurück; soweit der Fundamentalismus von der
Erweckungsbewegung her
bestimmt ist, hat er keinen betont konfessionalistischen Charakter,
verhält sich allerdings der ökumenischen Bewegung gegenüber ablehnend.
Alles Gewicht fällt auf einige Brennpunkte, die als elementare
Glaubenswahrheiten verstanden werden und in deren unbedingter Bejahung
der Prüfstein echten Glaubens gesehen wird. Die fundamentalistische
Bewegung hat eine Reihe von Erklärungen hervorgebracht, in denen solche
„Essentials“ aufgezählt werden, an ihrer Spitze das sog. Niagara Creed
von 1878, eine ziemlich ausführliche bekenntnisartige Formulierung, in
der die Niagara Conference sich über ihre Basis verständigte (abgedruckt
bei Sandeen im Appendix).
Solche Erklärungen stimmen nicht in allen
Einzelheiten überein (das Niagara Creed z. B. enthält einen
eschatologischen Artikel mit einer chiliastischen Färbung, die nicht zum
Allgemeingut des Fundamentalismus gehört).
Gemeinsam ist aber die
Nennung etwa folgender unabdingbarer Glaubenswahrheiten:
die Trinität;
die wahre Gottheit Jesu Christi;
seine jungfräuliche Geburt;
die
Versöhnung durch sein Blut;
seine leibliche Auferstehung;
seine ebenso
leibhaftig zu erwartende Wiederkunft auf diese Erde zum Gericht und zur
Aufrichtung des Reiches Gottes.
Charakteristisch ist auch die starke
Betonung der Sündenverfallenheit der gesamten Menschheit von dem (als
historisches Ereignis verstandenen) Sündenfall Adams her und die
Bestreitung der Erwartung einer allmählichen Vervollkommnung oder gar Verchristlichung der Welt.
Die Welt einschließlich einer in ihrer Masse
verweltlichten Christenheit geht vielmehr unaufhaltsam dem Gericht
entgegen - gerettet kann nur werden, wer sich Christus übergibt in
persönlichem Glauben an die versöhnende Kraft seines Opfertodes.
Das
sind Überzeugungen, die in biblisch orientierter Theologie auch sonst
weitgehend vertreten werden, wenn auch nicht immer in wörtlicher
Übernahme aller biblischen Vorstellungs- und Darstellungsformen.
Das
Spezifische des Fundamentalismus liegt aber gerade in der Forderung
dieser wörtlichen Übernahme, und dementsprechend in dem den genannten
Lehrpunkten in allen Erklärungen ausdrücklich vorangestellten Bekenntnis
zur wörtlichen Inspiration und absoluten Irrtumsfreiheit der Heiligen
Schrift. [...]
Der Bibelkanon in dem Umfang, den er durch die kirchlichen Definitionen
erhalten hat (die
Apokryphen bleiben ausgeschlossen), wird so herausgegrenzt aus aller
durch geschichtliche Verhältnisse und individuelle Eigenart und
Begrenzung bedingten menschlichen Verfassertätigkeit.
Sein Inhalt und
Wortlaut in allen Einzelheiten ist schlechthin von Gott gesetzt: Das Wort Gottes inmitten aller menschlichen und als solche überholbaren und
irrtumsfähigen Worte.
Zwar wollen sich die Fundamentalisten nicht auf
die alte Redeweise festlegen lassen, die biblischen Schriftsteller
hätten nur als calami [Schreibgriffel] des Heiligen Geistes fungiert.
Der bewusste Einsatz der Verfasser wird nicht bestritten; aber was sie in
diesem Einsatz niedergeschrieben haben, ist durch besondere göttliche
Einwirkung vor dem Einfließen jeglicher aus ihrer menschlichen
Bedingtheit möglichen Irrtümer bewahrt geblieben.
Diese Irrtumsfreiheit
wird nicht etwa nur für den theologischen Gehalt der biblischen Aussagen
behauptet, sondern ausdrücklich auch für alle faktischen Angaben über
Ereignisse, Zahlen, chronologische Bestimmungen, geographische
Örtlichkeiten usw., bis hin zu den Verfasserangaben biblischer Bücher.
Als Argument wird geltend gemacht: Würde die Bibel auch nur in
irgendeiner Einzelheit etwas sagen, was nicht zutrifft - wie könnte man
sich dann überhaupt auf ihr Wort als Gottes eigenes und wahres Wort
verlassen! Kann sie überhaupt irren - könnte sie uns dann nicht auch in
dem irreführen, was sie von der Sendung Jesu zu unserm Heil, von seinem
Tod zu unserer Versöhnung sagt?
Der Fundamentalist bestreitet nicht, dass
das Heilsgeschehen in Jesus Christus die zentrale Aussage der Bibel ist;
aber die Verlässlichkeit dieser zentralen Aussage hängt für ihn offenbar
daran, dass die Bibel überhaupt, und d. h. in jeder ihrer Aussagen und in
jeder Hinsicht dieser Aussagen, verlässlich ist.
Den Glauben daran
versteht er als christliche Grundentscheidung, die in allem, was
Christen überhaupt glauben, mitgesetzt sein muss, wenn nicht alles ins
Wanken geraten soll. Wer diese Grundentscheidung in Frage stellt, steht
von vornherein jenseits des Bodens, auf dem allein unter Christen ein
offener Dialog über Fragen des rechten Bibel- und Glaubensverständnisses
zulässig und sinnvoll ist.
Das Bekenntnis zu der göttlichen
Unfehlbarkeit der Bibel wird so zum Schibboleth, das zwischen wahren
Christen und bloßen Namenschristen scheidet. Notwendig tritt diese
Einstellung in vollen Gegensatz zu den Fragestellungen und Ergebnissen
der mit historisch-kritischen
Methoden arbeitenden Bibelwissenschaft.
Was deren Ergebnisse betrifft,
so wurde und wird von Fundamentalisten insbesondere die Aufdeckung der
komplizierten Entstehungsprozesse biblischer Schriften angegriffen, da
durch sie der Inspirationsvorgang als ein einheitliches, einem klar
abgegrenzten Personenkreis widerfahrenes Geschehen in Frage gestellt
wird und biblische Verfasserangaben ins Unrecht gesetzt erscheinen.
Besonderen Anstoß erregt z. B. die Bestreitung der einheitlich
mosaischen Herkunft des Pentateuch durch die Analyse seiner Quellen (J,
E, P);
die Zuweisung von Jes 40-66 an eine andere Verfasserschaft als die des
Propheten Jesaja (Deuterojesaja) (sie beruht nach
fundamentalistischer Ansicht auf dem ungläubigen Zweifel daran, dass
Jesaja kraft göttlicher Inspiration Ereignisse, die 200 Jahre nach
seiner Zeit eintraten, genau vorhergesagt haben konnte);
die Behauptung,
das Buch Daniel sei nicht von einem Propheten zur Zeit Nebukadnezars,
sondern zur Zeit des Antiochus IV. Epiphanes verfasst;
die
quellenkritische Analyse der Evangelientradition (Evangelien,
Synoptische), besonders auch die Infragestellung der Herkunft des
vierten Evangeliums von dem Zebedaiden Johannes (den allerdings das
Evangelium selbst als seinen Verfasser gar nicht behauptet - aber hier
dürfte vor allem das Anliegen maßgebend sein, die Augenzeugenschaft des
Verfassers und damit die historische Authentizität der johanneischen
Christusworte festhalten zu können; Johannesevangelium).
Dabei richtet
sich die fundamentalistische Kritik nicht nur gegen die Einzelergebnisse
kritischer Forschung, sondern grundsätzlich dagegen, dass auf die Bibel
überhaupt eine Fragestellung angewandt wird, die zu solchen Ergebnissen
führen kann, mögen diese im einzelnen mehr oder weniger „kritisch“ oder
auch „konservativ“ aussehen.
Das ganze Unternehmen dieser Forschung
erscheint als aus einer Glaubensverweigerung gegenüber dem Anspruch des
biblischen Wortes entsprungen und wird weitgehend für die Ausbreitung
von „Liberalismus“ und haltlosem Pluralismus in den Kirchen
verantwortlich gemacht.
Einsichten, denen sich auch fundamentalistische
Theologen auf die Länge der Zeit nicht entziehen können, wird mit
Argumentationen begegnet, die es erlauben, ihnen Rechnung zu tragen und
dennoch an der Irrtumsfreiheit des biblischen Wortes festzuhalten - man
muss nur recht verstehen, was dieses sagt.
So kann der Kampf gegen
wissenschaftliche Erkenntnisse bezüglich der langen Zeiträume der
Erdentwicklung heute teilweise aufgegeben werden - der Schöpfungsbericht
behält dennoch recht, denn die „Tage“, von denen er spricht, sind nicht
als die uns bekannten 24 Stunden-Tage zu verstehen, sondern als
bildhafter Ausdruck für unendlich viel größere Zeiträume. [...]
Der Tatsache, dass die Überlieferung des
biblischen Textes nicht durchaus einhellig ist, kann sich freilich auch
der Fundamentalist nicht entziehen, jedenfalls sofern er sich als
Theologe anhand des Urtextes mit der Bibel befasst.
Die Aufgabe der
Textkritik wird denn auch, im Unterschied zu der sog. „höheren Kritik“,
anerkannt. Schon frühzeitig (vgl. die letzte Wendung in dem oben
zitierten 1.
Artikel des Niagara Creed) begegnet die Feststellung, als inspirierter
und irrtumsfreier Wortlaut habe die ursprüngliche Niederschrift durch
die Autoren selbst zu gelten, nicht ebenso jede spätere Abschrift.
Innerbiblische Divergenzen können dann (auch wo der textkritische Befund
der betreffenden Stelle selbst keinen Anlass dazu gibt) u. U. damit
erklärt werden, dass der Widerspruch auf fehlerhaftes Abschreiben
zurückzuführen sei - in den ursprünglichen Autographen habe
Übereinstimmung geherrscht.
Freilich zeigt gerade dieses Argument den postulatorischen Charakter der ganzen Denkweise besonders deutlich. Auch
legt sich die Frage nahe, ob mit dieser Reduzierung der Unfehlbarkeit
auf erste Niederschriften, von denen uns keine einzige Seite mehr
gegeben ist, das Interesse an einem irrtumsfreien Offenbarungstext, den
wir in Händen haben, sich nicht streng genommen selbst in den Rücken
fällt.
4. Kritische Würdigung
Eine theologische Würdigung des Fundamentalismus sollte nicht übersehen,
dass diese Protestbewegung gegen moderne theologische Entwicklungen, wie
unhaltbar sie in ihrer eigenen Position erscheint, jedenfalls auch als
symptomatischer Hinweis auf unbewältigte Probleme zu verstehen ist.
Der
Fundamentalismus will - auf seine Weise - festhalten: Gottes
Offenbarungswort in Jesus Christus tritt menschlichen Gottesgedanken
wie menschlicher Gottesleugnung gegenüber als das Wort, das der Mensch
sich nicht selbst sagt - ist das als der Ursprung und Ermächtigungsgrund
christlicher Rede von Gott nicht in weiten Bereichen moderner Theologie
verwischt und verdeckt?
Die in diesem Offenbarungswort begründete
Erwartung des Reiches Gottes als der Zukunft, in der das Unheil und
Unrecht dieser Welt überwunden sein wird, ist etwas anderes als die
Hoffnung auf eine allmählich (oder revolutionär) fortschreitende
Entwicklung der Menschheit zum Besseren - ist dies nicht in modernen
Entwürfen „immanenter“ Eschatologie oft ebenso verkannt wie im „social
gospel“- Programm einer liberalen Theologie (Social gospel), gegen die
der Fundamentalismus einst auf den Plan getreten war? [...]
Aber die fundamentalistische
Theorie bezüglich der Bibel ist kein Weg der Abhilfe. Sie kann es schon
deshalb nicht sein, weil eine jedes Detail auch ihrer historischen,
kosmologischen und sonstigen Angaben umschließende Irrtumslosigkeit der
Bibel einfach nicht mehr behauptet werden kann, ohne entweder vor
offenkundigen Tatsachen krampfhaft die Augen zu verschließen oder an den
biblischen Texten ebenso krampfhafte Deutungsmanipulationen vorzunehmen,
um sie in dem gewünschten Sinn „stimmig“ zu machen.
Diese Position
dennoch zu halten, mag eine beinahe heroisch zu nennende
Entschlossenheit bekunden, die aber mit der Freiheit und Freudigkeit des
Glaubens, zu dem wir durch das biblische Zeugnis selbst gerufen werden,
nichts mehr zu tun hat.
Und dies letzten Endes deshalb nicht - dies ist
der eigentlich theologische Einwand, der gegen den Fundamentalismus zu
erheben ist -, weil hier das den Glauben tragende Fundament in
verhängnisvoller Weise an eine falsche Stelle verlagert ist.
Das zeigt
sich am deutlichsten in der fundamentalistischen Argumentation, wenn die
Bibel nur in einem einzigen Punkt Unrichtiges behaupten würde, wäre
damit alles, auch ihr Zeugnis von dem Heil in Christus, ins Ungewisse
gezogen. Das heißt doch m. a. W.: Diejenige Gewissheit des Glaubens, die
einschlußweise dann auch seine Gewissheit um das Heil in Christus
begründet, ist seine Gewissheit um die unfehlbare Richtigkeit des
Bibelbuchstabens.
Oder anders gewendet (aber so wird es der
Fundamentalist vielleicht nicht wahrhaben wollen): Das Grundereignis des
Wortes, in dem Gott sich offenbart hat, ist das Inspirationswunder,
durch das dieser in jeder Hinsicht irrtumsfreie Bibelbuchstabe entstand.
Dem gegenüber ist mit dem biblischen Zeugnis selbst zu sagen: Die
Grundgestalt des Wortes, in dem Gott sich uns eröffnet hat, ist Jesus
Christus selbst in seiner Person und Geschichte; was in der Geschichte
Gottes mit Israel zu seinem offenbarenden Wort an Israel wurde, ist es
auf ihn hin; alles, was uns aus den biblischen Zeugnissen als Wort
Gottes trifft, trifft uns von ihm her.
Wohl begegnet uns dieses Wort
nicht anders als durch die Vermittlung seiner biblischen Bezeugung; so
wird die Bibel, als diese Sammlung von Dokumenten einer menschlichen
Glaubensgeschichte, die sie ist, zugleich zu dem besonderen Werkzeug,
durch das Gott sein in Christus gesprochenes Wort auch heute spricht und
die Kirche im Hören dieses Wortes erhält.
Aber zu diesem Geschehen
bedarf Gott keiner allen geschichtlichen Bedingungen enthobenen, quasi
orakelhaften „Richtigkeit“ biblischer Informationen. Und die Gewissheit
des Glaubens hat ihren wahren Grund nicht in einer Theorie über die
Entstehung und supranaturale Eigenart des Bibelbuchstabens, sondern in
der Selbsterweisungsmacht des Christuswortes Gottes, das uns durch die
Vermittlung der biblischen Zeugnisse trifft.
Die altprotestantischen
Theologen haben darum noch gewusst; die Theorie der absoluten
Irrtumslosigkeit der Bibel (die sie unter den Voraussetzungen ihrer Zeit
vertreten konnten) haben sie formallogisch als Obersatz für
theologisches Argumentieren benutzt, aber die Gewissheit des Glaubens um
die Wahrheit des göttlichen Wortes haben sie nicht in dieser Theorie
begründet gesehen, sondern in dem, was sie das testimonium Spiritus
Sancti internum [inneres
Zeugnis des Heiligen Geistes] nannten.
Der Fundamentalismus ist zu fragen, ob er nicht
- gewiss gegen die eigentliche Intention vieler seiner Vertreter - im
Begriff ist, diesen pneumatischen [Geist: griechisch pneuma], als solcher freilich theoretisch
ungesicherten Gewissheitsgrund des Glaubens gegen eine theoretische, auf
ihre Weise historistische und höchst brüchige Konstruktion zu
vertauschen."
"James Barr, Fundamentalism, Philadelphia 1977/78; dt.:
Fundamentalismus, München 1981; Stewart. G. Cole, The History of Fundamentalism, New York 1931; Norman F. Furniss, The Funda mentalist Controversy 1918-1931, New
Haven 1954; Otto W. Heick, Amerikanische Theol. in Gesch. u. Gegenwart, Breklum
1954 (bes. S. 95ff); Ernest R. Sandeen, The Roots of Fundamentalism. British and American
Millenarianism 1800-1930, Chicago/London 1970."
Theologische
Realenzyklopädie (TRE) / Prof. Dr. Wilfried Joest (Oktober 1983, 1914-1995, Theologe
Universität Erlangen-Nürnberg, Wilfried Joest, Artikel Fundamentalismus.
In: Theologische Realenzyklopädie (TRE), Band 11, Berlin, New York:
Walter de Gruyter, 1983, S. 732-738)
Diskussion

Theologische Realenzyklopädie (TRE)
"Fundamentalismus [RGG 4, 2000]
[Auszug]
I. Zum Begriff
Der Begriff F. diente urspr. als Selbstbez. einer Bewegung, die sich in
den 70er Jahren des 19. Jh. als Zusammenschluss prot.-konservativer
Gruppen in den USA formierte und sich 1919 zur »World’s Christian
Fundamentals Association« vereinigte.
Von F. ist schriftlich zum ersten
Mal die Rede im Titel einer Schriftenreihe, die von 1909-1915 in den USA
unter dem Titel »The Fundamentals - A Testimony to the Truth« erschien.
Unter Berufung auf die >Verbalinspiration und absolute Irrtumslosigkeit
der Hl. Schrift verstanden sich diese nordamer.-prot. Fundamentalisten
als offensive Gegenbewegung zu >Liberalismus und >Modernisierung, die
auch die prot.-christl. Welt ergriffen hatten.
Seit den 80er Jahren
erlebte der Begriff eine bedeutende Ausweitung und wurde sozial-,
kultur- und religionswiss., aber auch publizistisch-feuilletonistisch
zur Bez. der unterschiedlichsten id., aber auch allg. polit. und
sozialen Strömungen und Bewegungen verwandt.
Damit verband sich eine
zunehmende Unschärfe des Begriffs, der sich kaum mehr von Bez. wie
>Antimodernismus, >Fanatismus etc. unterscheiden lässt und sich zudem
in Wiss. und Publizistik als polemischer Kampfbegriff gegenüber
denjenigen Strömungen und Bewegungen verbreitete, die sich dem eigenen
liberal-modernistischen Weltbild nicht einfügten.
Um dem Begriff eine wiss.-diagnostische Bedeutung zu sichern, kommt es darauf an, F. nicht
als bloßen Antimodernismus, vielmehr als »modernen Antimodernismus« zu
verstehen, d.h. ihn als Erscheinung der >Moderne selbst zu begreifen.
R.S.APPLEBY/M.E.MARTY (Hg.). Fundamentalisms Comprehcnded, 1995;
G.KÜENZLEN, F. - Aufstand gegen die Moderne, in: H.J.HÖHN (Hg.). Krise
der Immanenz. Rel. an den Grenzen der Moderne, 1996, 50-71.
II. Religionsgeschichtlich
1. Allgemein
F. ist eine Ausprägung der Religionsgesch. in der Moderne. Als »moderner
Antimodernismus« entsteht F. als offensive Gegenbewegung zu einer
modernitätsbestimmten Transformation der jeweiligen Herkunftsrel., deren
Wahrheit er durch Relativismus, >Pluralismus, >Historismus und
Autoritätsvernichtung bedroht sieht.
So unterschiedlich das Verhältnis
von Rel. und Moderne sich in den jeweiligen Kulturkontexten darstellt,
so lassen sich doch allg. Merkmale des rel. F. nennen, u.a.:
Die
Unterscheidung von Rel. und Politik ist zugunsten eines unmittelbaren
Geltungsanspruchs der rel. Wahrheit für das polit. Handeln aufgehoben.
Im Ergebnis führt dies zu theokratischen Vorstellungen (>Theokratie)
einer rel. fundierten societas perfecta.
Damit verbindet sich eine
dualistische Weltinterpretation (>Dualismus), in der - nicht selten
unter Rückgriff auf einen rel. Nativismus (>Krisenkult) - die Mächte des
Lichts und des eigenen Gottes gegen die der Finsternis und des Satans
stehen.
Dazu tritt ein bestimmtes Verhältnis zur >Heilsgeschichte, nach
dem die Gegenwart als rel. Verfallszeit, die Vergangenheit als
idealisierte Zeit des gottgewollten Lebens erscheint und die Zukunft in
einen apokalyptischen Horizont gestellt ist.
Lit. s.u. I.
2. Christentum
a) Europa.
Der klassische F. ist v.a. eine Erscheinung in Nordamerika, er kommt
aber auch in Nordeuropa und Großbritannien vor. F. bez. dort eine
intrakonfessionelle Bewegung innerhalb des konservativ evangelikalen
Protestantismus (>evangelikale Bewegung: II.).
Rel. F. in Europa ist von
zwei Konstanten charakterisiert: einmal durch Opposition zur Moderne
(»Antimodernismus«), zum anderen durch exzessives Behaupten rel.
Grunddaten (Gottesbild, Offenbarung in Schrift und >Tradition, rechte
Lehre, d.i. Orthodoxie, rechtes Handeln, d.i. Orthopraxie).
Dabei sind
die fundamentalistischen Schwerpunkte je nach Rel. bzw. Konfession
durchaus unterschiedlich. Die christl. Kirchen setzen einen Schwerpunkt
auf die Orthodoxie, wobei z.B. die prot. Kirchen v.a. die Schrift, die
röm.-kath. Kirche dagegen Tradition und >Lehramt hervorheben. Somit
ergeben sich für die Kirchen in Europa v.a. die Gefahren des
fundamentalistischen Schriftverständnisses, des >Traditionalismus, des
>Moralismus u.a.
Die Auseinandersetzung mit dem »Modernismus« war in der röm.-kath.
Kirche seit gut einem Jh. weit nachhaltiger als im Protestantismus.
Die
erste sog. Modernismuskrise in der röm.-kath. Kirche Mitte des 19. Jh.
ergab sich aus dem Gegensatz von neuen Lebensformen und überlieferten
kirchl. Positionen. >Pius IX. erließ den >Syllabus von 1864 mit der
Verurteilung moderner Lehren und setzte ihn durch.
Eine Zuspitzung fand
die Krise im Umkreis des I. >Vaticanum mit der Dogmatisierung des
unfehlbaren Lehramtes des Papstes (1870; >Unfehlbarkeit).
Die zweite
große Modernismuskrise ist mit dem Dekret des Hl. Offiziums Lamentabili
und mit der Enzyklika Pascendi >Pius’ X. von 1907 verbunden. Die beiden
Dokumente bestätigen zum einen die integralistische, auch
ultramontanistisch genannte Richtung der Kirche (>Ultramontanismus), die
sich seit dem Syllabus weitgehend durchgesetzt hatte, zum anderen wurden
sie, ähnlich wie der Syllabus, als Fundgrube für sämtliche »Häresien«
der Neuzeit benutzt.
Jetzt ging es im wesentlichen um die
Auseinandersetzung mit der hist.-krit. Methode in >Exegese (: V., 4.)
und Dogmengesch. Seit Beginn der 80er Jahre des 20. Jh. wird im Blick
auf den wachsenden Zentralismus aus Rom verschiedentlich vor einer
dritten Krise gewarnt (Hünermann).
Schlagwortartig können die sich damit
abzeichnenden Tendenzen folgendermaßen angegeben werden: Die Autorität
von Papst und unfehlbarem Lehramt steht über der Schrift,
Traditionalismus wiegt schwerer als die Bibel, auch gegen den Papst;
fundamentalistischer Moralismus v.a. in Fragen von Ehe und Familie,
unüberschaubares Aufkommen von fundamentalistischen Gruppen und
Bewegungen (M. >Lefevbre, Engelwerk, >Opus Dei, Priester- und
Laienkreise u.a.) lassen sich beobachten.
Die fundamentalistische Antwort prot. Gruppen auf das Ärgernis der
Moderne formierte sich nicht so sehr autoritativ kirchenpolit. wie auf
röm.-kath. Seite, sondern radikalisierte Grunddaten ev. Glaubens
(Schrift, >Schöpfungsglaube) und mobilisierte Kräfte der Innerlichkeit.
Eine genaue Beschreibung des F. in den prot. Kirchen wird dadurch
erschwert, dass die Zuordnungen dabei durcheinandergehen. Häufig wird
»fundamentalistisch« mit den Bezeichnungen »evangelikal«, »pietistisch«,
»biblizistisch«, »bibeltreu« oder »konservativ« gleichgesetzt.
Wenigstens eine grobe Abgrenzung wäre hier vonnöten (Holthaus 51-62).
Unbestreitbar gibt es zw. Fundamentalisten, Evangelikalen und Pietisten
einige Gemeinsamkeiten: v.a. die grundlegende Bedeutung der Schrift und
die persönliche Frömmigkeit.
Gemeinsam ist allen drei Gruppierungen bis
heute der Kampf gegen liberale theol. Strömungen. Hier spielt bes. die
Auseinandersetzung mit der seit der >Aufklärung in der prot. Theol.
vorherrschenden hist.-krit. Exegese eine entscheidende Rolle:
Es wird
die buchstäbliche Irrtumslosigkeit der Schrift behauptet
(Verbalinspiration), mit Ausnahme der >Textkritik die wiss. Methoden der
Auslegung der Schrift verworfen, die Forderung nach >Hermeneutik im
Umgang mit einem gesch. Text verneint.
Das wohl bekannteste Ergebnis
dieses fundamentalistischen Schriftlesens ist der sog. >»Kreationismus«:
das unbedingte und wortwörtliche Festhalten an der bibl. Schöpfungsgesch.
und zugleich das strikte Ablehnen jeder Form einer Theorie der
>Evolution, sei es im Sinne Ch. R. >Darwins oder einer seiner
Nachdenker.
Seit den 60er Jahren des 20. Jh. ist in einigen
Gruppierungen auch ein gemeinsamer Kampf für eine Gesetzgebung etwa in
der Bundesrep. D., die sich an die Zehn Gebote hält, zu bemerken.
J.BARR, F., 1981; R.FRIELING (Hg.), Die Kirche und ihre Konservativen.
»Traditionalismus« und »Evangelikalismus« in den Konfessionen, 1984; P.
Hünermann, Droht eine dritte Modernismuskrise? bin offener Brief von
Peter Hünermann an den Vorsitzenden der Dt. Bischofskonferenz, Karl
Lehmann (HerKorr 43, 1989, 130-135); W. B E INERT (Hg.), »Kath.« F.
Häretische Gruppen in der Kirche?, 1991; H. HEMMINGER (Hg.), F. in der
verweltlichten Welt, 1991; H. KOCHANEK (Hg.), Die verdrängte Freiheit.
F. in den Kirchen, 1991; M.ODERMATT, Der F. Ein Gott-eine Wahrheit-eine
Moral?, 1992; S.HOLTHAUS, F. in Deutschland: der Kampf um die Bibel im
Protestantismus des 19. und 20.Jh., 1993; K.NIENTIEDT, Gefürchtet,
überschätzt, dämonisiert. Rechtskonservative Gruppierungen im dt.
Katholizismus (HerKorr 49, 1993, 477-482); K. KIENZLER, Der rel. F.
Christentum, Judentum, Islam, 1996.
Gottfried Küenzlen
b) Nordamerika. [...]
III. Systematisch-theologisch
1. Fundamentaltheologisch
Der Begriff »F.« bez. negativ gefärbt und meist unscharf Phänomene und
Bewegungen, die heute in fast allen Konfessionen und Rel. zu finden
sind:
Im vermeintlichen Besitz eines absolut gewissen, indiskutabel
gültigen und verbal definierten Fundaments, das auf eine unzweifelhafte
Autorität zurückgeführt werden kann, wird in aggressiver Abgrenzung zur
Moderne die Vielfalt der Wirklichkeit auf ein einfaches Deutungsmuster
reduziert und Identitätssicherung durch die Zugehörigkeit zu einer
exklusiven Gemeinschaft als einzig rettendem Heilsweg ermöglicht.
Urspr.
und präzise bez. der Begriff F. eine Richtung im amer. Protestantismus,
die Anfang des Jh. insbes. gegen hist.-krit. Bibelforschung die
wörtlich-buchstäbliche irrtumslose Unfehlbarkeit der Bibel als das
»Fundament« des christi. Glaubens propagierte (s.o. II., 2.,b).
Die
Inspiration garantiert die Irrtumslosigkeit der Schrift als eines
Tatsachenberichtes in allen ihren Teilen. Die Bibel soll in dieser Weise
auch Glaubenslehre und Lebensführung bestimmen.
Das Schriftverständnis
des F. unterscheidet sich von dem der altprot. >Orthodoxie (:II.), da
diese inhaltlich-hermeneutische Prämissen (wie die Unterscheidung von
>Gesetz und Evangelium und die >Rechtfertigungslehre als »Kanon im
Kanon«) für die Auslegung herangezogen hat; auch für evangelikale
Christen schließt heute die Unfehlbarkeit der Schrift nicht unbedingt
deren Irrtumslosigkeit im fundamentalistischen Sinne ein.
Im F. wird das
den Glauben tragende »Fundament« de facto im »Inspirationswunder«, in
der irrtumslosen Richtigkeit des Bibelbuches, gesucht und nicht im
lebendigen Grund Jesus Christus, dem im Geist durch >Wort und Sakrament
gegenwärtigen auferstandenen Herrn.
Aufgabe der Theol. ist es,
angesichts der immer wieder gegebenen fundamentalistischen Bedrohung
Fundamentalunterscheidungen zw. dem menschlichen Wort und dem Wirken des
Hl. >Geistes (:V.) zu treffen. Der Möglichkeit und Wirklichkeit der
Schriftoffenbarung als pneumatologischem Ereignis entspricht das Bild
der »Quelle« (oder eines »Quellengeschehens«, H.-M.Barth) besser als das
Bild eines »Fundaments«, das der Sache nach aus neuzeitlicher
Erkenntnistheorie stammt.
2. Dogmatisch
Der F. kennt keine Theol. als das Bemühen einer universalkirchl.
Gemeinschaft von Denkern, die durch gemeinsame Diskussion miteinander
versuchen, die >Wahrheit des christl. Glaubens in seiner
Mannigfaltigkeit zu formulieren.
Seine Lehren, »die fünf Fundamente«
(Irrtumslosigkeit der Bibel, ->Jungfrauengeburt, Gottheit Jesu Christi,
stellvertretendes Sühneopfer und leibliche >Auferstehung [: II] und
Wiederkunft Christi [>Parusie]), werden - insbes. weil sie bibl.
Vorstellungs- und Darstellungsformen wörtlich entsprechen - aus der
traditionellen Lehrbildung herausgegriffen, ohne dass der theol.
Zusammenhang beachtet wird.
Eine lehrmäßige Besonderheit ist der sog. »Kreationismus«, der die
Evolutionstheorie ablehnt.
Die Schriftlehre trägt und prägt alle anderen
Lehren; so hat z.B. die Jungfrauengeburt aufgrund der zu glaubenden,
irrtumsfreien bibl. Vorgaben oftmals nur einen formalen Sinn ohne theol.
Bedeutung und fungiert als Prüfstein echten Glaubens.
Jede Theol.. die
nicht mit der Lehre von der irrtumslosen Autorität der Schrift beginnt,
ist für den F. irrelevant.
In der >Christologie führt die Betonung der
Göttlichkeit Jesu zur Verzerrung der altkirchl. Entscheidungen. Die
Rechtfertigung ist gebunden an Bekehrungserlebnis und >Wiedergeburt (:
II.), auf die die Praxis zumeist zielt; sie begründen das exklusive
Verständnis der Fundamentalisten als wahre Christen.
Die Bedeutung der
Sakramente tritt zurück, die Kindertaufe (>Taufe) wird in der Regel
abgelehnt.
Der F. hat einen überkonfessionellen Charakter und
identifiziert sich als Gesamtheit aller wahren Gläubigen mit keiner Denomination. Die >ökum. Bewegung wird verworfen, die Frage der
Kircheneinheit ist zweitrangig, solange nicht die Bibelauffassung des F.
Vorrang bekommt.
In der >Eschatologie wird aufgrund der
Sündenverfallenheit der ganzen Menschheit eine allmähliche
Vervollkommnung oder gar Verchristlichung der Menschheit bestritten.
Gerettet werden im Gericht nur die Christen, die sich Christus in
persönlichem Glauben an die versöhnende Kraft seines Opfertodes
übergeben haben.
Eine selbstkritische Reflexion über die auswählende
Lesart von Schrift und Tradition findet im F. nicht statt; eine theol.
Diskussion, inwieweit die Reduktion auf die »fünf Fundamente« Marginales
und Wesentliches vermischt, Spannungen im bibl. Befund auflöst,
notwendige Unterscheidungen ausschließt, wird verweigert: Die Grundlage
des Glaubens ist in irrtumsfreier Schrift und Wiedergeburtserfahrung
etwas Gegebenes, das allein apologetisch vertreten werden muss.
3. Ethisch
Die irrtumslose Bibel wird in der fundamentalistischen Ethik zu einem
breit ausgeführten Verhaltenskodex, der eindeutige und unveränderliche
Normen enthält, an denen wahres Christsein erkannt werden kann.
In der
Praxis werden jedoch nur für bestimmte ethische Fragen strenge christl.
Normen vorgegeben (z.B. im Blick auf die Sexualmoral), während man sich
in vielen anderen Bereichen stillschweigend an vorhandene Normen und
Wertungen der Gesellschaft anpasst.
Denn eine gesellschaftliche
Anwendung des Evangeliums und der Lehren Jesu bleibt nutzlos und ist
sogar schädlich, solange der einzelne noch nicht durch Bekehrung und
Wiedergeburt der Macht der Sünde entzogen ist.
Der wiedergeborene Christ
- weniger die Kirche als Ganze - bringt sich mit seinem persönlichen
Engagement und Glauben in den verschiedensten Lebensbereichen ein.
Andererseits sieht der F. im Gesetz Gottes, dessen Stimme im Gewissen
vernommen wird, durchaus eine gegen die Sünde gerichtete
Erhaltungsordnung, die für alle verbindlich gemacht werden muss und sich
in Ordnungen wie Regierung und Familie manifestiert.
In den USA zeigt
der F. einen organisierten Willen, seine Überzeugungen (Gebet an öfftl.
Schulen und Einführung des »Kreationismus« im Lehrplan,
Pornographieverbot, Schutz der Familie, Ablehnung von Feminismus,
Gleichberechtigung der Frau und Homosexualität, Schutz des ungeborenen
Lebens, Notwendigkeit der Todesstrafe) auf polit. Ebene durchzusetzen.
Wegen der Macht der Sünde ist aber geschichtstheol. kein sozialer
Fortschritt zu erwarten. Daher stärkt der F. im Westen häufig den
gesellschaftlichen Status quo durch Bejahung des kapitalistischen
Individualismus und durch nationalkonservative Strömungen; in der
Dritten Welt steigert er das Selbstwertgefühl der Armen, da alle, die
die Bibel lesen, ohne Aufsicht von Kirche, Staat und den gebildeten
Schichten unmittelbaren Zugang zu Gott haben.
Kriege, soziale Konflikte,
Umwelt- und Naturkatastrophen gelten eschatologisch als Vorboten des
nahen Weitendes. Kosmisch rel. Bedeutung hat die Rückkehr der Juden nach
Palästina und das Geschick des Staates Israel (damit verbindet sich die
Hoffnung auf die Bekehrung der Juden zum wahren Christentum); die bibl.
Prophezeiungen erfüllen sich an den Orten, die in den Texten angegeben
sind.
J.BARR, F. Mit einer Einführung in die dt. Ausg. von GERHARD SAUTER,
1981; W.JOEST (TRE 11, 1983, 732-738) (Lit.); H.-M.BARTH, Das Fundament
des Glaubens (US 47, 1992, 2-11); Themenheft F. als ökum.
Herausforderung (Conc[D] 28, 1992).
Joachim Zehner
IV. Sozialwissenschaftlich
F. stellte sich als wiss. Thema zunächst nur einem kleinen Kreis
religionsgesch. arbeitender Personen. Durch den Einfluss jedoch, den die
prot. Fundamentalisten in Amerika zu nehmen versuchten (s.o. II., 2.,
b), und durch Berichte über die polit. Ziele fundamentalistischer
Muslime (s.a. >Islam: X.) setzte ein öfftl. Interesse am Thema ein, das
zunächst zu einer politologischen und in geringerem Maße soziologischen
Auseinandersetzung mit dem F. führte.
Erst in den 90er Jahren des 20.
Jh. folgten psychologische und sogar psychiatrische Einzeluntersuchungen
(überwiegend in den USA), philos.-anthropologische und andere im
weitesten Sinne sozialwiss. Interpretationen (ethnologische, päd.,
wirtschaftswiss., hist.) sowie interdisziplinäre (Arbeitsfelder:
Fremdenfeindlichkeit, Interkulturalität, Persönlichkeitspsychologie,
Analyse institutioneller Strukturen, Identitätsforschung u.v.m.) und
auch wissenschafts- bzw. metatheoretische Ansätze.
Der Begriff F. wird auch für polit. Gruppen, individuelle Wert- und
Grundhaltungen, Positionen in Kommunikationsprozessen sowie für
methodischen Monismus gebraucht.
Dabei wird F. - mit wechselnden
Schwerpunkten - aufgefasst als die Haltung und das Verhalten eines
Menschen oder einer Gruppe, die anderem, insbes. Neuem ablehnend
gegenüber steht, individuelle Auslegung und damit Freiheit und
Verantwortlichkeit negiert und dabei eindeutige und unveränderliche
Regeln des menschlichen Zusammenlebens (und des rechten Glaubens)
festschreibt und umsetzen will.
Diese rekurrieren oft auf eine verklärte
Vergangenheit, deren Zustand wiederherzustellen sei. Daraus resultieren
Fortschrittsverachtung, Bevorzugung polit. konservativer Richtungen,
starre Vorstellungen über Familie, Geschlechtsrollen, Sexualität usw.
Fundamentalisten zeichnen sich oft aus durch Angst vor Ungewissheit, vor
der Relativität moralischer Entscheidungen, vor der Unbestimmtheit der
Zukunft, vor der Komplexität und Mangelhaftigkeit demokratischer
Politik, vor der Gefährdung der eigenen (Ich- oder Gruppen-) >Identität.
Die Forschungsmethoden sind quantitativ empirisch, hermeneutisch oder
tiefenpsychologisch. Ein großer Teil der aktuellen Lit. bietet die
Erhebung und Beschreibung von Bedingungen, die das Auftreten von F.
begünstigen:
Dazu zählen die Disposition des Individuums
(psychologisch), Störungen (psychiatrisch) und >Traumata
(psychoanalytisch), nationale und internationale Verhältnisse (polit.,
ökonomisch), Herkunftsfamilie (soziologisch und ökonomisch),
Bildungsstand (soziologisch, päd.), das Wegbröckeln patriarchaler
Machtverhältnisse (soziologisch, feministisch, ethnologisch) oder die
allg. Verunsicherung in Zeiten interkultureller Begegnung (ethnologisch,
psychologisch, kulturwiss., soziologisch, päd.), verstärkter
Säkularisierung (religionswiss., theol. und philos.), (Natur-)Wissenschaftsorientierung
(soziologisch, kulturwiss.) und postmoderner Relativierung (philos.).
Anthropologisch kann F. verstanden werden als eine Gefährdung des
Menschseins, die aufgrund der primären Weltoffenheit notwendig mit der
Möglichkeit des Gelingens von Menschsein gegeben ist. Weltoffenheit muss
(sekundär) gegenüber der Versuchung Weltverschlossenheit immer wieder
neu errungen werden. Disposition für F. ist das Menschsein selbst.
Th. Meyer, F. Aufstand gegen die Moderne, 1989; M.Riesebrodt, F. als
patriarchalische Protestbewegung. Amer. Protestanten (1910- 1928) und ir.
Schiiten im Vergleich, 1990; Ch. Jäggi/D. Krieger, F. Ein Phänomen der
Gegenwart, 1991; S. Pfürtner, F. Die Flucht ins Radikale, 1991; B.Tibi,
Krieg der Zivilisationen. Politik und Rel. zw. Aufklärung und F., 1995;
K.Lutze/Th.Klein, Identität und Weltoffenheit. Versuch eines
anthropologisch-bildungstheoretischen Zugangs zum Phänomen F., 1996;
W.Heitmeyer u.a., Verlockender F., 1997; K.Lutze, F. Eine syst. Bibliogr.,
1999.
Katinka Lutze
V. Praktisch-theologisch
Das kirchl. Handeln gegenüber dem F. setzt allererst eine differenzierte
Wahrnehmungsbereitschaft voraus. Hinderlich ist der verbreitete Gebrauch
des Begriffs F. als »deklassierendes Allostereotyp« (Stolz) und als
verallgemeinernder Oberbegriff für verschiedene Bewegungen und
Überzeugungsgruppen.
Angesichts der Diversifiziertheit
fundamentalistischer Phänomene erweist es sich als praktikabler, von
»Deutungsmustern mit fundamentalistischem Anspruch« (Barben-Müller in:
Praktische Theol., 19) zu reden.
Dies wird hinsichtlich des prot. F.,
auf den sich das praktisch-theol. Interesse hier beschränkt, auch den
unscharfen Grenzen zw. F. und evangelikaler Bewegung eher gerecht.
Handlungsorientierend ist ferner die Diagnose des F. als »moderner
Antimodernismus« (Küenzlen, s.o. I.), statt als bloße Repristination
vormoderner Glaubenshaltungen. Der quasi-fundamentalistische »blinde
Fleck« einer an modernen Vernunftstandards orientierten
Aufklärungsabsicht macht die Auseinandersetzung mit fundamentalistischen
Überzeugungen unfruchtbar.
Der Forschungsstand über die Ursachen fundamentalistischer Bewegungen
erfasst eher allg. sozialhist. und kulturelle Bedingungen. Das konkrete
bildende und seelsorgerliche Handeln wird damit nur unzureichend
orientiert. Sofern mit gewisser Plausibilität rel. Bildungsangebote in
staatlichen und kirchl. Einrichtungen als Prävention gegen den F.
gelten, ist zu bedenken, dass fundamentalistische Überzeugungen in
Milieus mit hohen Bildungsstandards nicht unterrepräsentiert sind.
In Bildung bzw. Unterricht wie im seelsorgerlichen Gespräch ist
gegenüber fundamentalistischen Überzeugungen bes. sorgfältig zw.
Beziehungs- und Sachaspekten zu unterscheiden.
Mit Resistenz gegen
gleichsam von außen erfolgende therapeutische oder aufklärerische
Intention ist zu rechnen.
Da die Verwechslung von Glaubensgrund und
Glaubensausdruck, von Offenbarung und Zeugnis der Offenbarung
fundamentalistische Glaubenshaltungen auf »fundamentals« als
Wissensobjekte fixiert, lässt sich F. als »Phänomen deplatzierter
Fundamentalität« deuten (Schwöbel).
Ablösungen von diesem
Missverständnis des Glaubens sind nur innerhalb einer Glaubenstradition,
also mit explizitem Bezug auf Schrift und Bekenntnis, durch interne
Korrekturen an der Deplatzierung der Fundamente aussichtsreich.
Dabei
wird gegenüber der als defensive Reaktion auf Pluralisierungsprozesse
verständlichen Suche nach Sicherheit auf die dem Zuspruch des
Evangeliums zu verdankende >Gewissheit abzuheben sein (in Anlehnung an
Luthers Unterscheidung zw. securitas und certitudo).
Dies ist in diesem Zusammenhang auch das entscheidende homiletische
Kriterium. Glaube als Vertrauen (>fiducia) kann sich unter dieser
Voraussetzung dem modernen »Zwang zur Häresie« (Berger) ausgesetzt
sehen, ohne sich auf empirisch verifizierbares Wissen oder auf
propositionale Aussagen gründen zu müssen.
Kybernetisch sind gegenüber dem F. als innerkirchl. Strömung
Konfliktregelungen auch dann zu erwarten, wenn theol. Sachklärungen sich
als schwierig erweisen. Die Anerkennung eines gemeindlichen >Pluralismus
(: III.) setzt freilich einen Weg zw. F. und pluralistischer
Beliebigkeit voraus.
P.L.BERGER, Der Zwang zur Häresie, 1980; F.Stolz/V.Merten (Hg.),
Zukunftsperspektiven des F., 1991; Themenheft: F. (Praktische Theol. 1,
1994); B.DRESSLER U.A. (Hg.), Fundamentalistische Jugendkultur, 1995;
Themenheft: F. (EvErz 4, 1995); CH.SCHWÖBEL, Die Wahrheit des Glaubens
im rel.-weltanschaulichen Pluralismus, in: U.KÜHN U.A. (Hg.), Christl.
Wahrheitsanspruch zw. F. und Pluralität, 1998, 43-56.
Bernhard Dressler
Religion in Geschichte und Gegenwart (RGG)
[Autoren stehen im Text] (2000, Artikel:
Fundamentalismus, in: Betz, Hans D. u. a. (Hg.), Religion in Geschichte
und Gegenwart (RGG) - Handwörterbuch für Theologie und
Religionswissenschaft, Band 3, 4. Auflage, Tübingen: Mohr Siebeck 2000,
S. 414-425)
Diskussion

Religion i. Geschichte u. Gegenwart (RGG)
- Hwb. f. Theol. u. RW.
"Christlicher Fundamentalismus bezieht sich auf eine strenge
Auslegung des christlichen Glaubens, die sich auf die wörtliche
Auslegung der Bibel und die strikte Einhaltung ihrer Lehren und
Vorschriften konzentriert. Christliche Fundamentalisten glauben, dass
die Bibel das unfehlbare und buchstäblich inspirierte Wort Gottes ist
und dass ihre Wahrheit unveränderlich ist.
Sie neigen dazu,
bestimmte moralische Überzeugungen zu haben, wie zum Beispiel die
Ablehnung von Abtreibung, Scheidung, Homosexualität und
Verhütungsmitteln. Viele christliche Fundamentalisten glauben auch, dass
die Welt am Ende der Zeit in einer Katastrophe enden wird und dass nur
diejenigen gerettet werden, die sich zum christlichen Glauben bekennen.
Einige extreme Formen des christlichen Fundamentalismus haben zu
Kontroversen und Konflikten geführt, insbesondere im Zusammenhang mit
politischen Themen wie Abtreibung und gleichgeschlechtlicher Ehe. Es ist
jedoch wichtig anzumerken, dass nicht alle Christen, die an eine
wörtliche Interpretation der Bibel glauben, als fundamentalistisch
betrachtet werden sollten."
ChatGPT (April 2023, Chatprogrammen auf Basis Künstlicher
Intelligenz (KI), https://chat.openai.com, Abgerufen am 02.04.2023)
Diskussion
"Protestantischer Fundamentalismus" [EZW, 2011]
"Mit Berufung auf die Bibel schafft der Fundamentalismus Eindeutigkeit und
setzt der modernen Kultur des Zweifels eine feste Position entgegen. Er
protestiert gegen kirchliche und theologische Kompromisse mit dem Zeitgeist.
Er reagiert auf den Abbruch der Tradition und die damit verbundene religiöse
und kulturelle Identitätsgefährdung.
Für sein Selbstverständnis sind verschiedene Abgrenzungen charakteristisch:
gegen den Feminismus, die Evolutionslehre, den Pluralismus, die
historisch-kritische Bibelauslegung. Fundamentalismus ist immer etwas
Zweites, eine Art Gegenmoderne.
Allgemeines
Was ist protestantischer Fundamentalismus? Die einfache und zutreffende
Antwort auf diese Frage lautet: eine Strömung innerhalb des konservativ
geprägten Protestantismus.
Ein herkömmlicher Sprachgebrauch bezeichnet denjenigen Bereich
protestantischer Frömmigkeit mit fundamentalistisch, der hinsichtlich des
Bibelverständnisses die Verbalinspirationslehre (wörtliche Eingebung der
Worte der Bibel durch das Diktat des Heiligen Geistes) mit dem Glauben an
ihre Unfehlbarkeit und absolute Irrtumslosigkeit verbindet und dies auf alle
Aussagen der Bibel bezieht.
Um von Fundamentalismus im engeren Sinn des Wortes sprechen zu können,
reicht das Motiv der Verbalinspiriertheit und Unfehlbarkeit der Heiligen
Schrift als Definitionskriterium noch nicht aus.
Es müssen weitere Motive hinzukommen: die konservative politische Gesinnung
und der Wille, religiös begründete Überzeugungen auch politisch durchsetzen
zu wollen, also die Verbindung von Politik und Religion.
Der christliche Fundamentalismus in diesem engeren Sinn ist in Europa kein
politisch einflussreicher Faktor. Hier stellen sich fundamentalistische
Strömungen in ihren protestantischen oder katholischen Spielarten vor allem
als kirchenpolitische, seelsorgerliche und ökumenische Herausforderung dar.
Der Begriff Fundamentalismus wird im europäischen Kontext durchweg als
wertender Begriff verwendet. Er bezeichnet die fragwürdigen Ausdrucksformen
und Fehlentwicklungen protestantischer Erweckungsfrömmigkeit.
Religiöse Hingabebereitschaft kann ausgenutzt und missbraucht werden. Die
Orientierung an charismatischen Führungspersonen kann das Mündig- und
Erwachsenwerden im Glauben verhindern.
Die Berufung auf den Buchstaben der Bibel kann für ein problematisches
Macht- und Dominanzstreben funktionalisiert werden. Das gesteigerte
Sendungsbewusstsein einer Gruppe kann in ein elitäres Selbstverständnis
Umschlägen, das sich scharf nach außen abgrenzt.
Selbstverständnis
Der Bibelfundamentalismus meint dem Streit um die rechte Auslegung der Bibel
entfliehen zu können, indem er die Bibel gleichsam ins Credo mit aufnimmt
und sagt: „Wir glauben an die Bibel als das von Gott gegebene ,irrtumslose'
und unfehlbare' Wort Gottes."
Für die gegenwärtige Wahrnehmung fundamentalistischer Orientierungen ist die
Unterscheidung zwischen einem Wort- und einem Geistfundamentalismus von
zentraler Bedeutung. Beiden ist gemeinsam, dass sie auf die menschliche
Sehnsucht nach Vergewisserung und Sicherheit antworten.
Der Wortfundamentalismus sucht rückwärts gewandt die Glaubensvergewisserung
durch den Rekurs auf das unfehlbare Gotteswort in der Vergangenheit.
Der Geistfundamentalismus orientiert die Vergewisserung primär an sichtbaren
Geistmanifestationen, die als unzweideutige Zeichen, ja Beweise der
göttlichen Gegenwart angesehen werden (Heilungen, ekstatische Erfahrungen).
Der Wortfundamentalismus sieht Christus preisgegeben, wenn Adam nicht als
historische Person verstanden wird.
Der Geistfundamentalismus meint, dass demjenigen etwas Entscheidendes im
christlichen Leben fehlt, der nicht in Zungen redet.
Der Wortfundamentalismus vertritt eine kreationistische Position und ist
daran interessiert, eine alternative Biologie und Geologie aufzubauen (Kreationismus).
Dem Geistfundamentalismus liegt an einer christlichen Psychologie oder am
„Powermanagement in der Kraft des Heiligen Geistes".
Gegenwärtig stellt sich ein Geistfundamentalismus chancenreicher dar als ein
reiner Wortfundamentalismus. Er knüpft an Ausdrucksformen der religiösen
Alternativkultur an, für die Rationalitätsskepsis und ein Hunger nach
erlebbarer Transzendenz charakteristisch sind.
Einschätzung
Dem Fundamentalismus ist entgegenzuhalten: Er greift die religiöse Tradition
nicht in ihrer Fülle auf, sondern auswählend und reduziert. Er verwechselt
Gewissheit mit Sicherheit. Die Verlässlichkeit des göttlichen Wortes lässt
sich nicht durch den Glauben an eine wortwörtliche Inspiration sichern.
Die Bibel wird missverstanden, wenn ihr Charakter als Glaubenszeugnis
verleugnet wird. In ihr lässt sich kein Vorrat unfehlbarer Fakten finden:
zur Welterschaffung, zum Endzeitablauf, zur Strategie, Krankheiten schnell
und wirksam zu heilen.
Fundamentalistische Strömungen verleugnen christliche Freiheit und sind von
der Angst bestimmt, das Fundament christlicher Glaubensgewissheit könnte
durch die Offenheit gegenüber moderner Wissenschaft und die Einsicht in die
Geschichtlichkeit der christlichen Wahrheitsgewissheit ins Wanken geraten.
Man kann sich bemühen, den Fundamentalismus als Antwortversuch auf die
Vergewisserungssehnsucht des Menschen in komplexen, unübersichtlichen
Lebenskontexten zu verstehen. Dieser Versuch ist jedoch erfolglos.
Glaubensgewissheit ist ein unverdientes Geschenk und menschlicher Verfügung
entzogen."
"Quellen: The 1878 Niagara Creed, in: Sandeen,
Ernest R., The Roots of Fundamentalism. British and American Millenarianism
1800 - 1930, Chicago 1970, 273 - 277 Torrey, R. A./Dixon, A. C. u. a. (Hg.),
The Fundamentals. ATestimony to theTruth, Vol. I - IV, Los Angeles 191 7 (reprinted
1988)
Sekundärliteratur: Hemminger, Hansjörg (Hg.), Fundamentalismus in der
verweltlichten Kultur, Stuttgart 1990 Hempelmann, Reinhard, Zur
Attraktivität des christlichen Fundamentalismus, in: ders., Evangeli- kale
Bewegungen. Beiträge zur Resonanz des konservativen Protestantismus,
EZW-Texte 206, Berlin 2009, 29-42
Marty, Martin E./Appleby, R. Scott, Herausforderung Fundamentalismus.
Radikale Christen, Moslems und Juden im Kampf gegen die Moderne, Frankfurt
a. M. 1996 Riesebrodt, Martin, Die Rückkehr der Religionen. Fundamentalismus
und der „Kampf der Kulturen", München 2000"
Dr. Reinhard Hempelmann (Oktober 2011,
Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen - EZW, Neue christliche
Religiosität - Protestantischer
Fundamentalismus. In: Reinhard Hempelmann u.a. (Hg.), Quellentexte
zur neuen Religiosität, EZW-Texte 215, Berlin: EZW, 2011, S. 88-90)
Diskussion

Dr. Reinhard Hempelmann,
Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen
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